Florida im Mai 2018

Reisezottel

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Ja, einfach supertoll (y), vielen Dank fürs Berichten

Ist "Ehemann" :)-D) professioneller Fotograf? Die Bilder sind sooo toll, bestimmt muss man dabei oft auf der Lauer liegen?!

Viele Grüße, ich freue mich definitiv auf die Fortsetzung
 

Ehemann

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Wir danken Euch allen nochmals für die tolle Beteiligung und freuen uns, daß die Fotos so gut ankommen. :)

Ich bin kein professioneller Fotograf, es ist nur ein Hobby. Eins, das ich wohl besonders gerne in Florida auslebe. Kein Wunder bei dieser Vielfalt an Motiven...


Zum Gatorland:

Eine Einrichtung, die sich selbst als "Orlando's Best Half Day Attraction" bewirbt und zumindest bei europäischen Urlaubern kaum bekannt zu sein scheint, so sieht man auch vor allem amerikanische Touristen dort. Die wiederum setzen ihren Schwerpunkt typischerweise bei den diversen Alligator-Shows, die nach einem fixen Tagesplan gegeben werden. Nur wenige verirren sich beispielsweise in den Swamp Walk, auf dem viele meiner Fotos entstanden sind. Im Rest des Parks sind, wenn es mal voll ist, vermutlich nur wenige Hundert Menschen im Laufe eines Tages anzutreffen. Das ist überhaupt nicht mit Sea World vergleichbar, auch ist das Gelände eher klein und übersichtlich.

Natürlich gelingen die Bilder in dieser Form und Menge nicht an einem einzigen Nachmittag, man braucht ebenfalls Geduld und Glück. Manchmal hat man auch Pech und sieht kaum etwas. Das hängt unter anderem auch vom Wetter und der Jahreszeit ab, die Vögel brüten beispielsweise nur in den Frühlingswochen und -monaten. Für diese Reise hab ich mir eine Jahreskarte gekauft und bin fünf oder sechsmal hingegangen. Dieser Annual Pass kostet übrigens weniger als der zweifache Tageseintritt (!) und der liegt schon nicht hoch. Spezielle Fotografen-Pässe für den Zutritt außerhalb der regulären Öffnungszeiten gibt es auch.
 
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Circle B Bar Reserve

Nach zwei Tagen Gatorland und nachmittäglicher Erholung am Pool ist wieder genug Energie für etwas Abwechslung in der freien Wildbahn da und wir brechen auf, Lakeland zu erkunden, Orlandos Umgebung im Süden. Die Gegend ist sehr wasserreich, wie der Name schon sagt, gibt es viele Seen, auch sehr große, in denen man aber natürlich nicht sicher schwimmen kann, schon gar nicht in den State Parks. Das ist eben der Preis, den man für das subtropische Klima zahlt: es sind Gators im Wasser. Irgendwas ist ja immer. ;)

Gators gibt es ja nun in verschiedenen Größen. Kleine Babies, die mit ihren süßen Gesichtern aussehen wie geschuppte Hundewelpen, freche Halbwüchsige, mittelgroße, die einem dann schon langsam unheimlich werden. Und natürlich große, alte Alligatoren, mit denen zu schwimmen garantiert lebensgefährlich wäre.

Und dann gibt es Humpback:

https://www.youtube.com/watch?v=Cp0wkrlPqxQ

Das Video, das sicher bekannt ist, hat unsere Aufmerksamkeit auf die Circle B Bar Reserve gelenkt, einen State Park im Polk Country, ungefähr eine Fahrstunde von Kissimmee entfernt. Wir erwarten keineswegs, Humpback zu sehen (ich bin, ehrlich gesagt, gar nicht scharf darauf, ihm auf diesem schmalen Damm zu begegnen, den man auf dem Video sieht), aber die Circle B Bar wird als besonders schöner und tierreicher State Park beschrieben.

Nach etwas Herumsucherei wegen schlechter Beschilderung finden wir den Park. Aufgrund der langen Trockenheit, von der uns die Ranger im Gatorland ja schon berichtet haben, ist die Rinde der mächtigen Live Oaks fast kahl, der Resurrection Fern, der seinen Namen seiner Fähigkeit, Trockenzeiten durch Einrollen der Blätter zu überleben und bei Regen wieder „aufzuerstehen“ verdankt, ist vollkommen eingeschrumpelt. Das Spanische Moos hängt in dicken, trockenen Bündeln herab, es ist windstill und sehr heiß.









Ich weiß nicht, ob es nur mir so geht, aber ich habe beim Anblick des Spanish Moss immer sofort ein vertrautes Gefühl, eine Art déjà-vu. Irgendwie sieht es gar nicht aus, wie man sich Florida vorgestellt hat, sondern eher wie… Afrika. Und dann schwingt sich da plötzlich einer an der Liane durch die Äste und das Moos. Genau. Tarzan. Einige der Johnny-Weissmüller-Tarzans wurden in Florida gedreht und zumindest für mich hatte Afrika, als ich ein Kind war, das Gesicht von Florida.





Die Circle B Bar Reserve ist ein Naturschutzgebiet, das auf dem Gelände einer ehemaligen Rinderfarm errichtet wurde, kostet keinen Eintritt, unterhält ein kleines Infocenter mit einer Ausstellung über Fauna und Flora des Parks und eine mückensicher eingefaßte Veranda mit Möglichkeit zum Picknicken. Genau wie ein State Park ist so eine Reserve keine Freizeiteinrichtung mit Tieren in Gehegen und Spazierwegen. Wie man auf dem weiter oben verlinkten Humpback-Video unschwer erkennen kann, ist man hier in der freien Natur mit allen Risiken, die dazugehören. Das Gelände umfaßt einen großen See, daran angrenzende Kanäle und Feucht- und Waldgebiete, die zum Teil noch alte landwirtschaftliche Gebäude von historischem Interesse zeigen. Das gesamte Gebiet ist von zahlreichen Wanderwegen durchzogen, von denen derzeit aber nicht alle begehbar sind. Einige haben so starke Irma-Schäden davongetragen, daß sie noch nicht wieder vollständig freigeräumt sind.

Den Weg zum Lake Hancock wollen wir in der Gluthitze nicht gehen, da er kaum bis keinen Schatten bietet, und schlagen den Weg auf dem Damm über den parallel zum Seeufer verlaufenden Kanal ein, den man auch im Video sieht.





Der Kanal mit seinen moosbehangenen Bäumen, den Muschelblumen und Seerosen ist sehr schön, schattig und idyllisch, selbst wenn keine Tiere zu sehen wären. Zunächst sind wir nicht allein, um uns herum Jogger, Familien mit Kinderwagen und Radfahrer, die mit klappernden Schutzblechen über den unebenen Weg rattern. Als wir ein Stück gegangen sind, sind wir irgendwann allein, es wird ruhiger und dann brodelt die Natur um uns herum vor Leben.






 
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Im Kanal zu unserer linken sehen wir in kurzer Abfolge Schmuck- und Weichschildkröten, Alligatoren unterschiedlicher Größen. Reiher, Störche, Anhingas und verschiedene Entenarten sind im Sumpf zu unserer Rechten auf Futtersuche, in der Ferne sogar ein einzelnes Wildschwein. Wir kommen unterschiedlich schnell voran und schauen und fotografieren jeder für sich.


















 
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Die Tiere sind sehr scheu, vor allem die Schildkröten, und wenn wir uns nicht ganz vorsichtig bewegen, verkündet uns das laute Platschen, daß gerade wieder eine Kröte vor uns ins Wasser geflüchtet ist. Während ich an einer Stelle, die freie Sicht über den Sumpf bietet, stehe und zu erkennen versuche, ob das, was da am Horizont fliegt, womöglich Rosa Löffler sind, nähert sich mir unter Wasser ein kleines Luftblasengekrissel. Für etwas von der Größe Humpbacks ist es zu klein, aber ich schaue schon etwas wachsam hin, was da auf mich zugeschwommen kommt. Schließlich reckt ein Anhinga den Kopf aus dem Wasser, im Schnabel einen Wels von beachtlicher Größe, schaut sich vorsichtig um, und taucht wieder ab. Möglichweise hat das Tier mich nicht wahrgenommen, denn nachdem er den restlichen Weg zum Ufer unter Wasser zurückgelegt hat, steigt er wie selbstverständlich höchstens einen halben Meter neben mir aus dem Sumpf.





Ganz vorsichtig versuche ich, die Serienfunktion an der Kamera einzuschalten, und schaffe das auch gerade rechtzeitig, als der Vogel versucht, seinen Wels auf dem Damm zu töten, indem er ihn kräftig auf den Boden schlägt. Vielleicht ist er auch einfach nur jung und noch unerfahren, denn der Wels läßt sich nicht so einfach totschlagen, sondern nutzt den Schwung, um sich aus dem Schnabel zu winden und versucht, mit kräftigen Körperkrümmungen zurück ins Wasser zu hüpfen. Der Anhinga steht wie blöde da und glotzt, als könne er nicht fassen, was ihm da gerade passiert ist. Ehrlich gesagt, bin ich insgeheim auf der Seite des tapferen Welses, der sich nicht einfangen lassen will, der Anhinga schnappt mehrmals daneben, ein Wettlauf um Leben und Tod. Es wäre jetzt leicht, dem Wels zur Hilfe zu kommen, dazu müßte ich vermutlich nur den Fuß bewegen, das würde den Anhinga, der völlig von seinem Fisch in Anspruch genommen ist, sicher verscheuchen. Aber ich halte mich an die Oberste Direktive der Sternenflotte: Keine Einmischung.





Irgendwann hat er den Fisch gepackt und diesmal gibt es keine Gnade mehr, er wird mit einem gezielten Schlag getötet und direkt hinuntergewürgt, während meine Kamera rattert. Und meine Fotos sind nicht einmal alle unscharf.







Das war spannend wie ein Krimi und wäre in dem Moment Humpback von hinten herangeschlichen, wäre ich wohl dem Beispiel des Welses gefolgt. Aber zum Glück ist das nicht passiert und so gehen wir den Damm bis zum Ende, an dem eine große Schutzhütte steht, in der wir Rast machen. Dabei passieren wir auch genau die Stelle, an der der große Alligator über den Damm gewandert ist, aber wir sehen nichts dergleichen an Land, aber durchaus mehrere sehr große Alligatoren im See, auf den man von hier aus blicken kann.

Die Wanderung auf dem schattigen Damm war für diesen Tag genau richtig, denn die Hitze ist enorm und die Temperaturen ungewöhnlich hoch für die Jahreszeit, das Auto zeigt noch am späten Nachmittag eine Außentemperatur von über 90 Grad Fahrenheit. Wenn wir gewußt hätten, daß dies für längere Zeit unser letzter heißer, sonniger Tag sein würde, hätten wir wohl nicht so gejammert. Neben uns parkt ein toller Klassiker auf der Wiese am Waldrand, hier entsteht das letzte Foto dieses Tages.





Den nächsten Tag verbringe ich im Haus und am Pool und genieße die Abkühlung, während der Ehemann die Kamera nochmals ins Gatorland schleppt. Aber nicht für lange, denn im Laufe des Tages setzt Regen ein, über den wir uns zunächst freuen. Wir haben hier aber auch alles gehabt und getan, was wir uns vorgenommen hatten, morgen reisen wir ab, so daß wir den Nachmittag für Einkäufe nutzen. Ab morgen werden wir uns endgültig von der Zivilisation verabschieden und weit oben in Nordflorida einen kleinen Camper am Santa Fé River beziehen. Endlich jeden Abend Steaks grillen, am Flußufer sitzen, schnorcheln, schwimmen, Schildkröten.

Und dann schalten wir den Wetterbericht ein, und alle Vorfreude verpufft in Sekundenbruchteilen. Ein Schlechtwettergebiet aus der Karibik arbeitet sich gen Nordost quer über Floridas Mitte hinaus auf den Atlantik und schaufelt tonnenweise Regen herbei. Das ist nicht die übliche Wettervorhersage, in der in einer netten Collage eine hinter einer Wolke hervorblinzelnde Sonne mit ein paar Regentropfen und einem unten an die Wolke drangebastelten Blitz alle Eventualitäten abdeckt. Das Regenradar zeigt wolkenbruchartige Regenfälle, genau dort, wo wir hinwollen. Was für ein Mist!
 

holgipezi

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mir fehlen wirklich die Worte! Wahnsinnig tolle Naturfotos. Vielen Dank dafür.

Ich bin wirklich gespannt, ob Euer Aufenthalt in Nordflorida letztendlich komplett ins Wasser fiel. Ich hoffe nicht :unsure:
 

Christina

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Ich bin auch sehr gespannt, wie es weitergeht. Danke für den tollen Reisebericht und die super schönen Natur-Fotos.

Viele Grüße

Christina
 

TurboAC

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Sehr cooler Bericht, schön geschrieben und tolle Bilder!
Spät aber ich reise natürlich mit! :sun:
 

panman47

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Ich kann nur WOW sagen. Was für tolle Bilder. Was für ein außergewöhnlicher Bericht. Die Bilder von Gatorland haben so fasziniert, dass es auf unserer Liste für nächstes Jahr ganz oben steht.

(y):sun:
 

Revilo

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Danke für die Aufklärung bezgl des Gatorlands. Ist jetzt eine Option für einen noch freien Tag in Orlando.
 

Mel1985

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Guten Morgen!

Toller Bericht und super Fotos(y)!
Ich bin auch dabei!

LG
Melanie
 

Ibins

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Toller Bericht und die Fotos sind der Wahnsinn!

Bin gespannt wie's weiter geht...
(y)
 
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Suse65

Suse65

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Vielen Dank für das positive Feedback. Das freut uns sehr. :-D:-D

Das Wetter hat zwar den weiteren Verlauf der Reise sehr beeinflußt, aber wir haben das Beste daraus gemacht und trotzdem noch jede Menge Spaß und schöne Erlebnisse gehabt. Es geht also fröhlich weiter, später gibt's auch noch jede Menge Musik. ;)
 
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High Springs und Santa Fé River

Für den Abreisetag hält sich das Wetter gerade noch. Wir fahren Landstraße und kurz hinter Leesburg auf die Interstate 75. An der Autobahnauffahrt machen wir Mittagspause und finden hier auch unser erstes Citrus Center dieses Urlaubs. Überall im Norden gibt es diese kleinen oder größeren, meist an Tankstellen angegliederten Fruchtstände, die die „Nationalfrüchte“ Orangen und Pampelmusen verkaufen, dazu allerhand mehr oder weniger kitschige Souvenirs, und die als Besuchermagnet „live Baby Gators“ ausstellen. Werbetafeln mit niedlichen aufgemalten kleinen Babygators, die ihre Eierschalen, aus denen sie noch nicht ganz herausgeschlüpft sind, als Windeln um den Po tragen, locken Besucher an.



Im Laden dann drei kleine Baby-Alligatoren – not for sale und ohne Windeln natürlich – in einem Terrarium. Wir kaufen Postkarten, Marmeladen für die Daheimgebliebenen, und Honig für uns. Den seltenen Tupelo-Honig, den ich eigentlich mitbringen wollte, stelle ich wieder ins Regal zurück, nachdem ich ihn eine Weile unschlüssig hin und hergedreht habe. Er mag sein Geld wert sein, aber mir ist er mit über 30 Dollar für ein kleines Glas dann doch zu teuer.





Auf der I75 passieren wir Ocala und Gainesville. Am Straßenrand große Werbeschilder für weitere Citrus Center mit und ohne Windelgators, und in Richtung Staatsgrenze Georgia ein großes Florida Welcome Center, in dem es alle Köstlichkeiten Floridas dann im Übermaß gibt. Die 13 Foot-Gators, mit denen solche Center werben, sind allerdings nicht live, sondern ausgestopft. ;)

In Ocala passieren wir Don Garlits Dragster-Museum, für Autofans ein Muß, aber dieses Jahr nicht auf unserem Plan. Dennoch als Tip für alle, die sich für schnelle und alte Autos interessieren, es ist sehenswert. Soweit ich weiß, lebt Big Daddy Don noch, er müßte Mitte 80 sein. Das Dragsterfahren hat er allerdings seiner Frau zuliebe mit Ende 70 aufgegeben. o_O

http://garlits.com/

So schaut es drinnen aus:









In Gainesville durchschneidet die I75 für ein kurzes Stück die Paynes Prairie und der Ehemann ;) guckt sich auf dem Beifahrersitz die Augen aus. Hier sieht es wasserreicher aus als weiter südlich in Orlando, aber das werden wir uns später noch genauer anschauen, denn hier gibt es neben großen Gators verwilderte Pferde und Bisons. Und unheimliche Menschen, aber das wissen wir in diesem Moment noch nicht.

Unser Ziel liegt zunächst einmal noch weiter im Norden und heißt High Springs, ein kleiner Ort im ländlichen Florida, der ganz anders ist, als das karibisch-tropisch anmutende Key West. Hier, wo sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen, die artesischen Quellen mehr oder weniger üppig sprudeln und die Menschen auf der Veranda sitzen, süßen Eistee trinken und „y’all“ sagen. Die Einheimischen meinen, dies sei „the real Florida“ und fahren stolz entsprechende Nummernschilder spazieren.



Wir suchen ein entlegenes Grundstück am Flußufer des Santa Fé River. Die Straßen werden immer schmaler, von der Interstate auf eine Landstraße, eine kleine Nebenstraße, schließlich ein unbefestigter Sandweg. Als wir die Abzweigung zu unserer Unterkunft für die kommenden 3 Tage gefunden haben, plötzlich am Wegesrand ein Rudel Weißwedelhirsche, doppelt so groß wie die auf den Keys. Am Waldrand weiter hinten eine Hirschkuh mit Kitz. Wir sind in der Lazy Turtle Lodge angekommen.

Wir melden uns bei den Vermietern, die ein wunderschönes großes Blockhaus auf Stelzen direkt am Wasser bewohnen, und bekommen die Schlüssel. Und dann geht es hinein in den Turtle Palace, einen großen, mit einem Vordach überbauten Camper. Ein bißchen eng ist es, aber wir sind mitten im Wald, außer uns derzeit keine anderen Gäste, es ist herrlich!



Mit dem Wissen um die bevorstehende Wetterverschlechterung packen wir aus und beeilen uns, hinunter ans Flußufer zu kommen, wo wir ein Holzdeck für uns allein haben. Wenigstens ein paar Stunden im Abendlicht am träge dahinfließenden Santa Fé River sind uns vergönnt. Wir bleiben bis in die Nacht so sitzen. Und dann kommt der Regen, genau wie vorhergesagt.



Es ist ja nun nicht so, daß uns Tropenregen fremd wäre oder daß uns nicht klar wäre, daß er nötig ist. Ohne Regen keine üppige Natur. Aber muß er denn gerade jetzt kommen, wo wir hier im Wald sind, wo wir doch so schöne Pläne hatten? Statt dessen kann man förmlich zusehen, wie Moos an den Wänden und Schwimmhäute zwischen unseren Zehen wachsen, ist man einmal naß geregnet worden, wird nichts mehr trocken. Alles ist klamm und es ist schlicht ungemütlich, so daß wir tatsächlich gezwungen sind, die Klimaanlage einzuschalten, um die Feuchtigkeit aus dem für solche Situationen natürlich denkbar ungünstigen kleinen Wohnwagen zu bekommen.

Immerhin ist das Vordach so groß und geräumig und die Temperaturen trotz des Dauerregens gleichbleibend lauwarm, daß das geplante abendliche Barbecue auf dem zur Unterkunft gehörenden High-Tech-Grill nicht ausfallen muß. In der winzigen Küche riesige Steaks braten zu müssen, das hätte mir gerade noch gefehlt!



Wir machen das Beste aus der Situation. Das kleine High Springs verfügt neben einer wirklich hübschen historischen Altstadt und einem stillgelegten Bahnhof auch über eine enorme Dichte an verschiedenen Ein-Dollar-Läden. Zum Glück teilen wir neben der Liebe zu Natur und Wildnis auch die für alte Gemäuer und verlassene Ruinen, und gehen auf ausgiebige Fototour. Die Liebe zu den Billigläden hat der Mann hingegen eher für sich allein; manchmal, wenn ich des vielen Plastikkrams in den Regalen überdrüssig werde, bleibe ich im Auto, bewache die Sony und zapfe das hier im Übermaß vorhandene W-Lan an. In der Lazy Turtle Lodge sind wir nämlich abgeschnitten von allem, auch vom Fernsehen, so daß das Wetter jeden Tag eine Wundertüte bleibt. Die allerdings keine freudigen Überraschungen enthält, die Sonne gibt allerhöchstens Gastspiele.













In der Umgebung der kleinen Stadt sind die Hirsche besonders häufig und werden gelegentlich Opfer des Straßenverkehrs, aber sogar diese an sich unerfreuliche Tatsache bietet in Florida einen gewissen exotischen Schauwert. Scharen von Geiern belagern die Kadaver am Straßenrand, manchmal sind es bis zu 30 Vögel, die sich um das Aas streiten und einmal mehr sieht Florida hier aus wie Afrika.



In den Regenpausen versuchen wir, ein bißchen von der Umgebung zu erkunden. Ein sonniger Nachmittag ist uns im O’Leno State Park vergönnt, wo man den Santa Fé auf einer historischen Hängebrücke überqueren und bis zu der Stelle begleiten kann, wo er für die nächsten drei Meilen unterirdisch weiterfließen wird, dem River Sink. Das Wasser verschwindet hier nicht etwa mit Getöse in einem Abgrund, sondern versickert langam im porösen Kalkstein, aus dem ja quasi ganz Florida besteht, um drei Meilen weiter östlich wieder an der Oberfläche aufzutauchen, dem sogenannten – wer hätte es gedacht – River Rise.

Ich finde die Vorstellung, daß es Menschen gibt, die solche unterirdischen Höhlensystem tauchend erkunden, unfaßbar gruselig. Aber tatsächlich ist dies eine bevorzugte Freizeitgestaltung der nördlichen Floridianer.

Auf den Live Oaks entlang des Flusses hat der Regen den Resurrection Fern auferstehen lassen, so daß die waagerecht abstehenden Äste aussehen, als seien sie selbst ein Waldboden im zweiten Stock, dicht bewachsen mit Farn und Moos.Auf dem Fluß Schildkröten in rauhen Mengen, die genau wie wir hastig zum Sonnenbaden ausgerückt sind. Wer weiß, wie lange das schöne Wetter anhält!







Wenn wir abends in der Lodge zurück sind, ist es seltsam, daß wir diesen anderenorts so stark frequentierten Fluß hier an dieser Stelle ganz für uns haben. Es ist zu schade, daß wir das nicht besser genießen können. Wie hatten wir uns das schön ausgemalt, morgens in aller Frühe hinunter zum Fluß zu gehen, im Morgenlicht vom Wasser aufsteigende Nebelschwaden...

Nur ein kurzes Stück flußabwärts gibt es eine kleine Quelle. Direkt neben einer Insel im Fluß, nach der sie benannt ist, liegt Rum Island Springs. Der Quelltopf ist nicht sehr groß und flach und läßt gut den Übergang zwischen dem klaren Quellwasser und dem Schwarzwasser des Santa Fé erkennen. Als wir ankommen und ein paar Jugendliche in der Quelle baden, ärgere ich mich, daß ich mein Badezeug nicht dabei habe, aber nicht für lange, denn wir schaffen es nicht einmal mehr trocken zurück zum Auto, bevor uns das nächste Gewitter mit einem Wolkenbruch beglückt.







Das Schwimmen und Schnorcheln in den Quellen (und ja eigentlich auch im Fluß) ist die Aktivität, der wir für den Rest des Urlaubs hier und an unserer nächsten und letzten Etappe eigentlich einen Großteil der Zeit widmen wollten, und wir machen uns schon Sorgen, ob das so klappen wird, eine Wetterbesserung scheint nämlich erstmal nicht in Sicht. So beschäftigen wir eben mental mit den artesischen Quellen, in unserem kleinen Schildkrötenpalast gibt es genügend entsprechende Fachliteratur. Was wir dort lesen wirkt besorgniserregend, ist aber keineswegs neu. Die sensiblen Grundwasserquellen leiden unter den Menschenmassen, die sich in den Sommermonaten hier auf verschiedenste Weise vergnügen, aber vor allem unter der Wasserentnahme und Schadstoffbelastung durch Landwirtschaft mit einhergehendem Algenwachstum sowie dem wie in allen Industrienationen beständig beschworenen Wirtschaftswachstum mit einhergehender Bodenversiegelung und Bevölkerungszunahme.

Wer sich mit den Quellen näher als nur zur Freizeitgestaltung beschäftigen möchte, dem sei die Veröffentlichung „Silenced Springs“ von Robert L. Knight empfohlen. Ein Buch, das auch die politischen Hintergründe beleuchtet, die mit dafür verantwortlich sind, daß den Quellen Nordfloridas bis heute nicht der Schutz zugestanden wird, dessen sie eigentlich dringend bedürften:

https://howardtodumfloridaspringsinstitute.wildapricot.org/Silenced-Springs


Am letzten Tag regnet es so stark und fast ununterbrochen, daß ich die Hütte nur für einen kurzen Spaziergang auf dem Waldweg verlasse. In dieser Mischvegetation am Übergang zwischen Tropen und gemäßigter Zone wächst irgendwie alles durcheinander, Palmettos, Kiefern, Orchideen und Kakteen, die auf einer Wiese neben der Lodge gerade zahlreich gelb blühen. Sehr weit komme ich auf meinem Spaziergang aber nicht, auch hier überall Zäune. Pfade, die vom Hauptweg in den Wald hineinführen würden, gibt es nicht, dafür Warnschilder, die Grundstücke nicht zu betreten sowie zahlreiche Zuneigungsbekundungen für Herrn Trump. Dafür kommt die Natur zu uns; während ich im Wohnwagen stehe und in der Küche herumräume, kann ich vom Fenster aus Rehe beobachten. Wie schön es hier bei gutem Wetter gewesen wäre.
Wir verlassen die Lazy Turtle Lodge also ein klein bißchen enttäuscht, nichtsdestotrotz um einige Erlebnisse reicher.



Auch am Abreisetag schüttet es dermaßen, daß das Beladen des Autos zu einer logistischen Leistung mit Regenschirm und vor Nässe quietschenden Flipflops wird. Dann rollen wir den Sandweg entlang, ein paar wilde Truthähne flüchten zeternd vor uns, und dann hat uns die Zivilisation wieder, denn unsere nächste und letzte Station auf dieser Reise wird ein Motel in Lake City sein.
 

Reisezottel

FLI-Silver-Member
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Och je, schade, dass es so geregnet hat :cautious:. Müsst Ihr noch mal in die Gegend (y). Ich habe mir die Lodge gleich mal auf der Homepage angesehen und notiert :sun:
 

MIADolphins

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Bayern
Wahnsinn diese Aufnahmen (y)
Ich bin richtig begeistert von deinen Fotos, sie wirken so richtig lebendig.
Und auch der Schreibstil gefällt mir richtig gut, ich bin schon ganz gespannt auf die Fortsetzung :sun:
 
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