Zwischen Trotteln und Tölpeln - Helgoland im Juni 2020

Suse65

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Nun kommt Helgoland zum Dritten. ;)


Eigentlich wollten wir in die Tropen, aber daß das nichts werden würde, war schon früh klar, denn unser Zielland schloß schon im März konsequent und dauerhaft die Grenzen für alle Ausländer und der Sommerurlaub schien komplett ins Wasser zu fallen.
Eine langsame Wiederöffnung der einzelnen Bundesländer Mitte Mai ließ uns dann Hoffnung schöpfen, vielleicht wäre ja trotzdem ein kleinerer Tapetenwechsel innerhalb Deutschlands drin. Aber wohin? In den Harz, mal an die Mosel, Bayern, ein paar Schlösser anschauen? So richtig in Schwung kamen wir bei der Reiseplanung nicht, bis die zündende Idee kam – warum nicht mal wieder nach Helgoland?

Der Gedanke kam uns gerade noch rechtzeitig, denn von der geplanten Wiederöffnung für den Übernachtungs- und später auch Tagestourismus schienen schon viele vor uns gewußt zu haben. In dem Hotel, das wir auch bei unseren früheren Aufenthalten bewohnt hatten und auch diesmal gern wieder gehabt hätten, ergatterten wir gerade noch das letzte freie Zimmer, und für die Fähre, die, wie wir gehört hatten, coronabedingt nur eine stark begrenzte Anzahl Personen befördern durfte, gab es an den Wunschterminen noch Tickets.

Die Sache war also in trockenen Tüchern und Vorfreude machte sich breit, besonders als wir realisierten, daß wir mit Mitte Juni genau zum Lummensprung auf Helgoland sein würden. Vermutlich auch einer der Gründe, weshalb die Insel so gut gebucht war, denn die Zeit, in der die Küken der Trottellummen aus den Felsen springen, ist absolute Hochsaison auf Helgoland.

Die Begeisterung für die Insel ist nicht für jeden nachvollziehbar. Von mitfühlenden Bemerkungen, daß wir uns den Urlaub doch sicher anders vorgestellt hätten (was natürlich stimmte) bis zu ironischen Sprüchen, ob wir Alkoholnachschub bräuchten, war alles dabei. Für viele ist Helgoland eben nur der Fuselfelsen, eine steuerbefreite Einkaufszone, in der man, wenn man die richtigen Sachen kauft, auch mal richtig was sparen kann. Daß die Insel mit einer geradezu atemberaubenden Schönheit aufwartet und eine Fauna beherbergt, der man hier so nah kommt, wie sonst kaum irgendwo – woher soll man das wissen, wenn man nur das Unterland auf Shoppingtour abläuft. Dabei bezeugt schon der Name Helgoland, daß das hier etwas Besonderes ist.

Man stelle sich einmal vor, man wäre ein urzeitlicher Jäger und Sammler. Es ist Eiszeit und man wandert über die Grassteppe, die damals den heutigen Nordseegrund bildete. Da ist nichts um einen herum, nach rechts links, vorne, hinten, überall Gras, endloser Horizont, das größte, was man zu sehen bekommt, ist ein Mammut.
Und mitten aus dieser Ebene ragt unvermittelt ein roter Monolith, gut 100 Meter hoch, weit und breit nichts, das diesem Anblick gleicht. Was denkt man dann als Mammutjäger, der nichts weiß von geologischen Ursprüngen? Natürlich glaubten sie an höhere Mächte, daran, den Sitz der Götter gefunden zu haben. Sie begruben Jahrtausende lang ihre Häuptlinge am Fuß des Felsens und gaben ihm den Namen Hillig Lunn, Heiliges Land, Helgoland. Die archäologischen Funde waren dann später so zahlreich, daß manch ein Historiker vermutete, Helgoland könne Atlantis sein. Die Helgoländer selbst nennen die Insel übrigens ganz pragmatisch „hohes Land“, Halunder.

Ursprünglich waren die Helgoländer Friesen, dann Dänen, dann Engländer. Sie lebten vom Fischfang, der Bergung in Seenot geratener Schiffe und der Unterhaltung einer Feuerblüse, dem Vorläufer des Leuchtturms. 1890 wurde Helgoland im Tausch gegen Sansibar deutsch. Damals war es bereits ein Seebad und recht mondän. Die Ehefrau des letzten britischen Gouverneurs, Fanny Barkly, hat sich hier auch sehr viel wohler gefühlt als an ihren vorherigen Einsatzorten, den Seychellen und den Falklandinseln, was man deshalb so genau weiß, da sie ihre Erinnerungen aufgeschrieben hat. Das Buch „From the Tropics to the North Sea“ ist ein unterhaltsamer, authentischer Einblick in koloniale Zeiten. Es kostet auch nichts, in der Indian Ocean Library ist ein gut lesbares Exemplar hinterlegt:
Wen es interessiert, Link hier: http://sites.dlib.nyu.edu/viewer/books/fales_io_book000005/2
Ebenso wie das Seebad ist die Freihandelszone ein Erbe aus britischer Zeit, und ebenso wie Butterfahrten war für jeden norddeutschen Schnäppchenjäger ein gelegentlicher Besuch auf Helgoland Pflicht, das war auch in unserer Familie nicht anders. Man fuhr mit den großen Seebäderschiffen, der Alten Liebe oder der Wappen von Hamburg.

Heute gibt es verschiedenste Möglichkeiten die Insel zu erreichen, neben den zahlreichen Fährschiffen aus Niedersachsen und Schleswig Holstein gibt es inzwischen zwei Katamarane, die die Insel mit dem Festland in wesentlich kürzerer Zeit, dafür aber für einen deutlich höheren Ticketpreis verbinden. Zur Unterstützung des neuen Halunder Jet ist kürzlich die San Gwánn angeschafft worden. Es wäre sogar möglich, daß die San Gwánn hier dem einen oder anderen bekannt vorkommt. Der Hochgeschwindigkeits-Katamaran ist zuvor die Strecke Miami –Grand Bahama gefahren.

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Von den Katamaranen aus war Ausbooten mit dem Börteboot noch nie üblich, da diese immer schon direkt an der Kaimauer anlegten. Aber auch von den üblichen Fährschiffen findet das Ausbooten heute nicht mehr statt, worüber viele froh sein dürften, denn bei rauher See war das nicht immer spassig, von zwei Muskelmännern von einem schaukelnden Boot ins andere gehievt zu werden, sondern sorgte schon lange vor der Ankunft auf den Fähren für Unruhe und besorgte Gesichter, vor allem bei älteren Personen. Die Helgoländer haben lange an dieser Tradition und den damit verbundenen Arbeitsplätzen festgehalten. Ob das Ausbooten, das pandemiebedingt eingestellt wurde, jemals wieder praktiziert werden wird ist wohl eher fraglich, der Ankerplatz ist inzwischen so weit ausgebaut, daß alle Fährschiffe problemlos gleichzeitig hier anlegen können.

Wer die Überfahrt mit dem Schiff scheut oder schnell seekrank wird, muß trotzdem nicht auf Helgoland verzichten, denn auf der vorgelagerten Düne befindet sich ein kleiner Flughafen, der täglich von zahlreichen Kleinflugzeugen angesteuert wird. Es gibt Linienverbindungen des Ost-Friesischen-Flugdienstes, aber es besteht auch die Möglichkeit, über Portale wie wingly an Privatchartermaschinen zu kommen, deren Piloten ihre jährlichen Flugstunden zusammensammeln müssen.
 
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Suse65

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Wir sind mit der klassischen Fähre unterwegs. Da die Strecke ab Bremerhaven coronabedingt derzeit nicht bedient wird, müssen wir ab Cuxhaven fahren. Um 10 Uhr geht es los und vorher ist noch einiges zu erledigen, so daß wir früh raus müssen. Zum Glück müssen wir nicht die gesamte Strecke ab Berlin an einem Stück zurücklegen, sondern übernachten vorher bei meiner Mutter in Hannover, so daß es nur ungefähr zwei Stunden Fahrt sind.

Die Autobahn ist morgens um halb sieben dann aber so leer, daß wir viel zu früh in Cuxhaven ankommen und uns auf die Suche nach dem Parkplatz der Reederei machen. Auf dem e-Ticket der Reederei befindet sich ein mysteriöser Hinweis, sich nicht vorzeitig auf einen betriebsfremden Parkplatz abwerben zu lassen, sondern den echten „Helgoland-Parkplatz“ ganz am Ende der Straße zu benutzen.

Was unter „abwerben“ zu verstehen ist, wird klar, als wir gegen halb 9 gemütlich durch Cuxhaven tuckern und es am Straßenrand schlagartig lebendig wird. Sobald wir in Sichtweite kommen, springen ein paar ältere Herren wie angeknipst auf und ab und schwenken dabei selbstgebastelt aussehende Pappschilder mit der Aufschrift „Helgoland-Parkplatz“. Das sieht zwar lustig aus, ist aber irgendwie auch traurig. Sie geben sich so viel Mühe, uns auf ihren Parkplatz zu lotsen, und wir fahren einfach vorbei und müssen uns dabei auch noch das Lachen verkneifen. Im Rückspiegel kann man dann beobachten, wie sie die Schilder wieder sinken lassen und in Reglosigkeit erstarren, vermutlich bis zum nächsten vorbeikommenden Fahrzeug. Aber wer weiß, wenn der Cassen-Eils-Parkplatz erstmal voll ist, kommen sie sicher auch noch auf ihre Kosten.

Schließlich finden wir den echten Helgoland-Parkplatz, der direkt zwischen Fähranleger und einem Backsteingebäude mit dem etwas ungeschickt gewählten Namen „Café Sturmflut“ gelegen ist. Der Name sorgt mit Sicherheit dafür, daß der eine oder andere Autobesitzer während des Helgolandaufenthalts gelegentlich mal besorgt über die Sicherheit seines Autos nachdenkt.

Helgolandreisen in Coronazeiten bedeutet, daß man seine Koffer nicht selbst transportieren darf. Angeblich, um Menschenansammlungen bei der Gepäckausgabe zu vermeiden, wird der Transport zur Unterkunft durch die Reederei übernommen, und die läßt sich das mit 15 Euro pro Gepäckstück und Strecke bezahlen. Reichlicher Nepp, finden wir, und haben unsere Habseligkeiten daher auf einen gemeinsamen Koffer zusammengeschrumpft. Hierfür muß ich nun Gepäckbänder besorgen und den Parkplatz für eine Woche Aufenthalt bezahlen. 50 Euro kostet das, nicht ganz günstig, aber immer noch deutlich günstiger als das Parkhaus in Bremerhaven, das wir sonst immer genutzt haben.

An Bord dürfen wir ungefähr eine Stunde vorher und die Corona-Besonderheiten setzen sich fort. Möchte man einen Platz unter Deck sicher haben, muß man sich diesen durch das Personal zuweisen lassen und darf ihn dann auch während der Fahrt nicht wechseln. Mit Maske und frisch desinfizierten Händen folgen wir dem Steward nach unten, um dann verblüfft festzustellen, daß zwar jeder zweite Tisch aus Gründen der Abstandsregelungen frei bleiben muß, an den verbliebenen Vierertischen dann aber fremde Personen quasi auf Körperkontakt zusammengepfercht werden.

An dem uns zugewiesenen Tisch sitzt bereits ein Ehepaar, dem Alter nach tief in der Risikogruppe, kaut an mitgebrachten Stullen und guckt ebenso überrascht wie wir. Was das denn nun solle, fragt der Ehemann, und bekommt zur Antwort, ja wieso denn nicht, zwei Haushalte dürften doch. Ich habe wirklich kein Problem damit, Corona-Regelungen zu akzeptieren, wasche mir permanent die Hände, halte Abstand und trage meine Maske, aber manches ist mir dann doch nicht verständlich. Wo ist der Sinn, jeden zweiten Tisch frei zu lassen, dann aber an die übrigen Tischen vier Fremde zu quetschen? Ganz davon abgesehen, daß in einer Restauration, in die man sich mit der Absicht, etwas zu verzehren, setzt, ja auch keine Masken getragen werden.

Die am Tisch sitzende ältere Dame denkt offenbar, wir machten uns Sorgen um unsere Gesundheit und bietet an, sie könne ja auch später aufessen und während der Fahrt die Maske aufsetzen. Das finde ich ganz rührend, denn viel gefährdeter sind doch sie und ihr Mann. Ich habe die gesamte Pandemiezeit hindurch durchgehend gearbeitet und fahre täglich mit der überfüllten Berliner U-Bahn, in der vor Einführung des Bußgeldes längst nicht jeder eine Maske aufsetzte. Wenn jemand möglicherweise symptomlos infiziert ist, dann bin ich ein guter Kandidat dafür und möchte nicht schuld sein, wenn zwei Achtzigjährige sich im Helgolandurlaub mit Covid-19 anstecken, weil ich im Schiffsrestaurant beim Krabbenbrötchenessen munter meine Aerosole verteilt habe.

Wir entscheiden, die Fahrt an Deck zu verbringen. Weil wir so früh dran sind, ist noch alles frei und wir finden einen schönen Tisch. Wie die Kachelmänner vorherorakelt haben, kommt tatsächlich das schöne Wetter, die Sonne scheint vom wolkenlosen Himmel und macht die Menschen erfinderisch. Wer keine andere Kopfbedeckung hat, spannt sich den Mund-Nasen-Schutz über die Glatze.

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Uns wird klar, was wir vergessen haben: Schirmmützen und Sonnenmilch. Als wir auf Helgoland ankommen, haben wir einen Sonnenbrand.

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Mike_FB

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Super!!!?Muss ich unbedingt mal wieder hin. Dein Bericht bisher mach mir richtig Lust drauf.
Danke.
 
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binebiene

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Oh, da komme ich gerne mit. Ich war noch nie so wirklich lange oder intensiv im Norden. Als Kind mal mit so einer AWO Jugendgruppe bei Kiel. da haben wir auch eine Butterfahrt gemacht.
Aber wenn man in Bayern wohnt sind Italien, Kroatien und so halt fast schon näher. Oder nicht viel weiter weg.

Und mit den Stammtischkumpels meiner Eltern als Ersatz weil so viele krank wurden in (nicht im - bzw. auch Norden). Da war es die 3 Tage aber so nebelig, da hätte auch die Zugspitze unentdeckt neben einem stehen können.

Dann freue ich mich jetzt mal auf Helgoland! Wir suchen für die nächsten Jahre ja autoerreichbare Ziele.

Ach ja, du hast eine tolle Art zu schreiben!
 

Cawu

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Hallo Suse,
klasse ?????? ... da komm ich doch gerne mit! Super informativ und interessant geschrieben ... großes Lob und ich freu mich sehr auf die Fortsetzung. ?
Die Maske als Sonnenschutz ist mega! ?

Liebe Grüße
Carmen
 

Sabine B.

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Hallo liebe Suse ?

Ich sitze gerade mit meinem Mann auf unserem Balkon im Oberland und schaue auf die Lichter der Düne in der Dunkelheit.
Ich habe ihm soeben deinen fantastischen Bericht vorgelesen – und wir haben geschmunzelt, gelacht und tatsächlich richtig was gelernt! Wow!
Er hat am Ende gesagt: Nun lies doch weiter.... – naja, jetzt müssen wir halt erst mal warten bist du hoffentlich ganz bald weiterschreibst.?

Ich bin jedenfalls restlos begeistert – mein Mann ergänzt, das sei er auch.
Also bitte ganz schnell fortsetzen - Du machst Dir ja eine Mühe - das ist unbeschreiblich! ❤️

Ich hätte das noch 1 Stunde weiter begeistert vorlesen können und mein Mann hätte sehr gern noch 1 Stunde weiter fasziniert zugehört.

Wir fiebern auf Deine Fortsetzung?56751C15-96AB-4BED-B194-84E6EB53FD39.jpeg
 
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Suse65

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Danke für die netten Rückmeldungen. Ich hatte ja schon befürchtet, daß der dritte Helgoland-Bericht in der kurzen Zeit vielleicht schon nerven würde, aber wenn es Euch gefällt, ist ja alles gut. Dann schreibe ich mal weiter.

Mit fortschreitendem Bericht gibts dann auch viel mehr Fotos, von der Anreise haben wir nicht so viele, das ist ja auch nicht so spektakulär. Die meisten, insbesondere von den Tieren, hat der Ehemann gemacht, vielleicht will er auch wieder selbst was zeigen, so wie in unserem Florida-Bericht damals, aber auch wenn die Beiträge alle unter meinem Account erscheinen sollten, sind die Fotos trotzdem überwiegend von ihm und nur wenige von mir. Die Unterschiede sieht man dann an der Qualität. ;)
 
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Auf Helgoland kommt man um einen Namen nicht herum: Rickmers. Die Hoteliersdynastie betreibt neben dem ältesten (und vermutlich auch teuersten) Haus am Platze noch verschiedene andere Unterkünfte, auch unsere, das Hotel Helgoländer Klassik. Im Vorfeld erreichte uns ein Schreiben mit Erläuterung der wieder einmal coronabedingten Besonderheiten des Aufenthaltes. Keine Zimmerreinigung, Frühstück nur im Schichtbetrieb, und keine Rezeption im Hotel. Anstatt dessen ist eine zentrale Anlaufstelle eingerichtet worden in der „Helgoländer Botschaft“, in der Check-in und alle Angelegenheiten um den Aufenthalt geregelt werden.

Für 15 Euro wird uns zwar der Koffer zur Unterkunft kutschiert, dafür stehen wir jetzt in einer endlosen Schlange der gerade Angekommenen vor der Botschaft, denn alle Rickmers-Gäste müssen ja durch dieses Nadelöhr. Die Sonne brennt und es geht nicht voran. Irgendwann sind auch wir dran, bekommen den Zimmerschlüssel und die Kurkarten, und dann haben wir nur noch ein paar Schritte bis zum Hotel.

Die Helgoländer Klassik liegt direkt an dem kleinen Nordosthafen und bietet, wenn man das richtige Zimmer hat, einen schönen Ausblick auf die Düne. Von außen fügt es sich unauffällig in die restliche klassische Helgoländer Wiederaufbauarchitektur ein, von innen ist es ganz im Stil der 50er Jahre gehalten, aber zwischen Tütenlampen und Nierentischen herrscht dennoch der Geist von Gropius; gleich im Treppenhaus wird man durch einen der Leitgedanken des Bauhaus begrüßt, das die Architektur Helgolands prägt.

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Bis zum 2. Weltkrieg schaute die Insel ja nicht viel anders aus als das viktorianische London oder das Berlin der Kaiserzeit

Abfotografierte Postkarte vom Lung Wai vor dem Big Bang:

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aber nachdem die Engländer in ihren Bemühungen Helgoland zu zerstören nichts unversucht ließen, blieb am Ende kein einziges Gründerzeitgebäude übrig. Beim Wiederaufbau entschied man sich dann für einen ganz eigenen Stil, eine Mischung aus Bauhaus, der Schlichtheit der 50er Jahre und einem Schuß Skandinavien, dazu eine gezielt gewählte, stark begrenzte Farbpalette für die Fassadenfarben, und fertig war das neue Helgoland.

Reihenhäuser mit Fassadenfarben nach der Helgoländer Farbpalette für das Unterland:

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Tatsächlich macht genau diese Architektur, die viele Menschen ja als häßlich empfinden, für uns einen Teil des Reizes der Insel aus. Ich liebe das Bauhaus und die Formen der 50er Jahre-Architektur mit ihren schmalen Fensterprofilen ohne viel Schnickschnack. Hier stört kein kleinteiliges Sprossenfenster den Blick aufs Meer, und irgendwie hat das alles etwas sehr Beruhigendes in seiner klaren Schlichtheit. Ein kleines bißchen hat es natürlich auch etwas von einem Freilichtmuseum, aber es gibt Helgoland eben auch ein ganz individuelles Gesicht.

Zum Glück hat das Mid-Century-Flair aber Grenzen, die Zimmer haben moderne Standards und man muß sich kein Etagenklo mit anderen Gästen teilen, sondern hat ein piekfeines Badezimmer, das überhaupt keinen 50er Jahre-Muff verströmt. Wir sind mit unserem Zimmer zufrieden, es geht nach hinten raus, in eine kleine Gasse mit Blick auf den rückwärtigen Teil eines anderen Apartmenthauses, in dessen Garten eine muntere Rentnergang sitzt und sichtlich Spaß hat.

Wir vertrödeln den Nachmittag mit Warten auf den 15-Euro-Kofferdienst, Auspacken und dem Inbetriebnehmen des Fotoequipments. Gegen Abend machen wir uns Gedanken um das Essen. Etwas Recherche vorab ergab, daß mit der Wiederöffnung der Unterkünfte auch die Gastronomie auf Helgoland wieder den Betrieb aufgenommen hat. Aber auch hier ist die Anzahl der Tische je Lokal reduziert worden, in manchen wird im Schichtbetrieb abgefüttert, so daß man zwingend reservieren muß.

Wir schlendern den Lung Wai hinunter, die größte Einkaufsstraße, die direkt am Zugang zum Oberland endet.

Lung Wai heute:

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Hier gibt es neben diversen Duty-Free- und anderen Geschäften auch eine gute Auswahl an Bistros und Pizzerien und es ist auch gar kein Problem, einen Tisch zu bekommen, wir müssen unsere Pizza also nicht aus dem Pappkarton auf der Parkbank futtern. Im Gegenteil, als angenehme Überraschung haben sie so knapp vor Ende der Saison sogar noch Spargel auf der Karte, obendrein bezahlbar. Ein erfreuliches Ende für einen etwas anstrengenden Anreisetag.
 
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Am nächsten Morgen werde ich um halb neun vom im Zimmer herumrumorenden Ehemann geweckt. Der ist schon seit halb sechs auf, gerade von seinem ersten Erkundungsgang auf dem Oberland zurück und liefert einen mit Superlativen gespickten Bericht ab. Ganz offensichtlich hat die touristenfreie Frühjahrszeit, in der die Brutkolonien der Seevögel sich ohne die Störung durch Menschenmassen ungestört ausbreiten konnten, dazu geführt, daß die Tiere zum Greifen nah am Weg nisten. Es sei ein Filmteam oben, ansonsten kaum Menschen, es sei fantastisch.

Bevor wir nach dem Frühstück auf den Felsen können, müssen wir erstmal einkaufen. Zum Glück gibt es im Unterland eine riesige Auswahl an Baseball-Caps, auch schlichte ohne irgendwelche albernen Aufdrucke, und wir kaufen zwei. Im örtlichen Edeka (mehr Auswahl hat man auch nicht) versorgen wir uns mit Sonnenmilch und Getränken. Da es sich um den einzigen Supermarkt überhaupt handelt, ist der Andrang entsprechend, aber die Getränkeabteilung ist gut bestückt. Man sollte ja meinen, daß es nichts gibt, was es in Berlin nicht gibt, aber tatsächlich entdecke ich hier ein Kokoswassergetränk in Halbliterdosen, das ich vorher noch nie gesehen habe, und das sich als süchtigmachend herausstellt.

Damit bestücken wir im Zimmer den Rucksack, dazu muß das Stativ für die Videokamera gequetscht werden, dann geht es endlich aufs Oberland. Da das Stativ doch relativ schwer und das Wetter hochsommerlich heiß ist, gönnen wir uns für den Anfang eine Fahrt mit dem Fahrstuhl. Der ist tief in den Felsen hineingebaut und kostet pro Fahrt einen Euro. Alternativ hat man mehr oder weniger steile Treppen zur Auswahl, die an verschiedenen Enden der Insel nach oben führen. Über das Mittelland an der Südspitze der Insel ist es am einfachsten, hier ist die Steigung flacher, dauert aber auch länger.

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Der Fahrstuhl braucht nur ein paar Sekunden bis nach oben, dann ist man am Falm. Wenn man hier aussteigt, kann man eigentlich nie direkt weitergehen, sondern muß erst einmal die Aussicht betrachten. Das Unterland mit seinen bunten Häusern, im Hafen die Fähren und dahinter die Düne, am Himmel keine einzige Wolke, es ist einfach großartig.

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Der Falm ist für das Oberland das, was der Lung Wai für das Unterland ist, Promenade, Einkaufsstraße, Freßmeile, Aussichtspunkt. Dahinter schließt sich ein Netz aus Wohnstraßen an, die mit ihren gedämpften Farben auf den ersten Blick eher langweilig wirken. Das Ganze hat System, die Helgoländer Farbpalette wurde absichtlich so gewählt. Im Unterland sollten die relativ hellen Farben einen Kontrast zu dem roten Felsen bilden, im Oberland wurde dunkelblau, schwarz und grau bevorzugt, da die Häuser sich vor dem hellen Himmel abheben sollen.

Auf dem Oberland befinden sich Kirche, Schule und Friedhof, also sprich, das authentische Leben der Helgoländer, das nicht direkt mit dem Tourismus zu tun hat.

Weil Fahrräder auf Helgoland verboten sind, benutzt man Roller:

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Auch wenn der besiedelte Teil des Oberlands auf den ersten Blick vielleicht uninteressanter wirkt als das Unterland, das täuscht. Es gibt hier einiges Spannendes. Das Oberland birgt auch den Zugang zu dem wohl düstersten Geheimnis Helgolands, den Zugang zum Tunnel- und Bunkersystem, das die Insel durchzieht. Es gibt Führungen, auf denen man auch eine Tonaufnahme des „Big Bang“ anhören kann, als die Briten versuchten, Helgoland endgültig zu zerstören, und der mit dem vermutlich größten Gänsehautmoment in der Geschichte der Insel endete.

Zu verdanken war die Entscheidung der Briten, so ein Naturwunder zu vernichten, wenn wundert es, dem größenwahnsinnigen Postkartenmaler, der versuchte, den Hafen der Insel so auszubauen, daß er die gesamte deutsche Marine aufnehmen konnte, inklusive unterirdischer Garagen für die U-Boot-Flotte. Das „Projekt Hummerzange“ wurde zwar nie vollendet, aber damit es auch für zukünftige Generationen nie wieder möglich sein sollte, die strategisch günstig gelegene Insel für Kriegszwecke zu mißbrauchen, sollte der Felsen vollkommen unbewohnbar gemacht werden.
Um das zu erreichen, wurde die Insel zuvor seitlich beschossen, in die so entstandenen Aushöhlungen und in die bereits vorhandenen Tunnel wurden 6700 Tonnen Munition gestopft. Am 17. April 1947 sollte es dann soweit sein. Zuvor wurden mehrere kleinere Detonationen gezündet, um Seevögel zu verscheuchen. Als der Countdown zum großen Big Bang gezählt wurde, gab es nur noch ein einziges Lebewesen auf der Insel, dem es aber auch schlicht unmöglich war zu fliehen.
 
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Die Bevölkerung war ja schon während des Krieges evakuiert worden und saß während der Sprengung überall in Norddeutschland vor den Radios. Wie sich das angefühlt haben mag, das miterleben zu müssen, wie die Heimatinsel innerhalb der nächsten 10 Sekunden vernichtet werde wird.

Der Moment des Big Bang:

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Die Überraschung kam danach. Als der Rauch sich verzogen hatte, konnten die erstaunten Briten sehen, daß vorn an der Südspitze ein kleines Stück abgebrochen war, das das heutige Mittelland bildet. Ansonsten stand Helgoland da wie zuvor, der weiche Sandstein hatte sich aufgebläht, den Druck entweichen lassen, und kaum Schaden genommen. Die Insel hatte der größten nichtnuklearen Sprengung, die der Planet je erlebt hatte, einfach getrotzt. Heute wirbt Helgoland sehr passend mit dem Slogan „Die Insel, die atmet“. Und nur, während ich das so aufschreibe, bekomme ich schon wieder ein bißchen Gänsehaut.

Das Lebewesen, das zu fest mit der Insel verwurzelt war, ist ein Maulbeerbaum. Es gibt Fotos von ihm, wie er nach der Explosion auf der verwüsteten Fläche der zerstörten Ortschaft ganz allein als kleiner verkohlter Wurzelstock am Boden kauert. Heute steht er wieder auferstanden im Hinterhof zwischen Wohnhäusern und hat gewaltige Ausmaße. Reichlich Früchte trägt er außerdem. Manchmal, wenn man irgendwo in einem anderen Land einen uralten Baum mit dem Standardsatz gezeigt kommt, was der Baum alles erzählen könnte, muß ich an den Maulbeerbaum von Helgoland denken. Der hat in fünfzig Jahren mehr überlebt, als mancher Baobab in tausend.

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Bevor man die Seevogelkolonien erreicht, bekommt man noch mehr Pflanzen zu sehen, allerdings weniger geschichtsträchtige. Der Weg führt zwangsläufig durch die Schrebergartenkolonie. Die Gärten sind alle tiptop in Schuß und fast jeder verfügt über ein Gewächshaus, von denen manche schon deshalb sehenswert sind, weil sie aussehen wie aus Treibholz zusammengenagelt.

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Ab der Schrebergartenkolonie noch über 7000 Kilometer bis Sansibar. Hätte der Kaiser damals nicht tauschen sollen? Also ich finde nicht, so schön Sansibar sein mag. Und ich gebe zu bedenken: Dann wäre Freddie Mercury Deutscher gewesen und hätte vielleicht Schlager gesungen.

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Wenn man hier jemanden im Garten werkeln sieht, ist es vermutlich ein echter Insulaner. Im allerletzten Garten ganz am Ende der Kolonie verkauft eine Helgoländerin selbstgemachte Ringelblumensalbe.

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Danach wird die Landschaft eintöniger. Der nicht bebaute Teil des Oberlandes ist eine grüne, baumlose Steppe aus Pfeilkresse und Klippenkohl, die von freilaufenden Heidschnucken und ein paar Galloways kurzgehalten wird. Die Schafe sind Besuchern gegenüber für Streicheleinheiten aufgeschlossen, aber an so einem heißen Tag wie heute liegen sie im Schatten der Bänke und japsen. Wer die Schafe in Action erleben will, muß abends kommen, dann kann man zuschauen, wie sie die Zaunabsperrungen an den Klippen überwinden und an den Steilhängen grasen, daß man schon vom Zusehen schweißnasse Hände bekommt.

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Wir machen uns in der schattenlosen Landschaft nicht die Mühe, den Klippenrandweg einmal rundum zu gehen, sondern laufen mit der Ausrüstung auf dem Buckel über die Trampelpfade quer durch zur Westseite der Insel, vorbei an Wildgänsen, die sich in den Wiesen verstecken:

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Die Basstölpel hingegen verstecken sich überhaupt nicht. Sie sind die dominierenden Vögel in den Kolonien, sie nisten in den steilen Felswänden

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aber auch oben auf den ebenen Flächen am Klippenrand. Je näher man den Brutkolonien kommt, desto lauter wird es und desto durchdringender wird der Geruch nach Guano.

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In den früheren Jahren hielten sie immer noch einen gewissen Abstand zum Zaun, dieses Jahr brüten sie so dicht dahinter, daß man sie streicheln könnte.

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In der Mittagshitze sind die Vögel weniger aktiv, aber das Geschrei ist dennoch ziemlich intensiv, bei den beengten Platzverhältnissen in der Kolonie gibt es auch immer wieder Nachbarschaftsstreitigkeiten.

Es gibt Küken in allen Altersstufen, die älteren liegen in der Sonne platt da wie tot und schlafen und die Altvögel stellen sich so, daß sie ihnen ein bißchen Schatten spenden. Es ist auch auf unserer Seite des Zauns ziemlich eng und man kann sich nicht wirklich auf die Tiere konzentrieren.

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Einige Leute versuchen die Vögel zu füttern oder mit Nistmaterial zu versorgen. Andere recken ihre Objektive so weit durch den Zaun, daß sie einen Schnabelhieb kassieren.

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Tagestouristen. Wir sind zwar selbst gerade mal einen Tag da, haben aber schon die gepflegte Überheblichkeit des Übernachtungsgastes angenommen: Ab 17 Uhr gehört die Insel wieder uns!
 
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Ele

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Was für ein interessanter Bericht (y)!
Wer jemals ein Referat über Helgoland schreiben muss, der sollte sich Deinen Bericht als Referenzmaterial nehmen. Tolle Bilder, tolle Infos und dazu noch richtig interessant geschrieben. Top!

Am verblüffensten finde ich ehrlich gesagt die Tatsache, dass auf Helgoland keine Fahrräder erlaubt sind :oops:.
Das habe ich wirklich noch nie gehört.
 
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Ja, das ist tatsächlich so. Die haben vermutlich Angst, daß einer vom Felsen kippt. ;) Aber mit den Tretrollern heizen die auch ganz schön rum.
 
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Wir ziehen weiter und sichten mal den Sachstand bei den Lummen.

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Auf den ersten Blick entdecke ich gar keine Küken, vielleicht sind wir doch schon zu spät, man wird sehen. Zwischen den Trottellummen nisten auch die seltenen Tordalke, aber ohne Fernglas kann man die von den Lummen kaum unterscheiden. Wobei uns klar wird, was wir außer Schirmmützen und Sonnenmilch noch zuhause gelassen haben. Zufälligerweise ließe sich ein Fernglas auf Helgoland übrigens ebenso leicht ersetzen wie die ersteren beiden Artikel, und die Ersparnis wäre aufgrund der Freihandelszone enorm.

Im Gegensatz zum Ehemann besitze ich nur eine kleine Kompaktknipse, die zwar für ihre Preisklasse ganz ordentlich ist, aber natürlich reicht der Zoom bei weitem nicht, um ein Fernglas zu ersetzen. Der Zoom der Videokamera ist um einiges leistungsstärker, aber dadurch kann ja immer nur einer gucken. Das wird jetzt doppelt spannend, ob einer von uns dieses Jahr ein Lummenküken wird springen sehen können.

In den folgenden Tagen meiden wird die Mittagszeit und gehen nur in den frühen Morgenstunden und zum Sonnenuntergang hoch auf den Felsen. Eigentlich ist das bei uns nicht so üblich, schon vor 6 Uhr in der Früh aus dem Bett zu kriechen, nicht mal zur Arbeit stehe ich so früh auf. Trotzdem sind wir erstaunlich munter. Das Wetter ist konstant super, keine Wolke am Himmel, die Nordsee glatt wie ein Dorfteich.
So früh fährt der Fahrstuhl noch nicht, wir müssen also zu Fuß gehen. Der schönste, wenn vielleicht auch anstrengendste Weg aufs Oberland ist am Nordstrand, hier führt eine steile Treppe im Zickzack nach oben, deren Stufen wir nie gezählt haben.

Am Nordstrand herrscht Lebensgefahr:

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Um zum dorthin zu kommen, muß man das sogenannte Nordostgelände überqueren, eine künstlich angelegte Fläche noch aus der Zeit der Hummerzangen Projekts. Hier findet sich so einiges Sehenswertes, das Helgoland-Museum mit seinen kleinen Hummerbuden, von denen zwei beiden prominenten Helgoländern gewidmet sind, dem Fotografen Schensky und James Krüss, dem Schriftsteller.


Das Foto ist nicht aus diesem Jahr, nur um mal zu zeigen, wie es da aussieht. Das Museum ist wirklich einen Besuch wert:

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Eine Jugendherberge gibt es hier und das große Freibad. Gleich neben unserem Hotel liegt das Alfred-Wegener-Institut mit der Hummerforschungsstation und dem Museum für wissenschaftliches Tauchen. Bis auf das Museum ist jetzt zu Corona-Zeiten allerdings alles für Besucher geschlossen.

Ich glaube, in diesen Teil der Insel verirren sich die wenigsten Besucher, dabei ist es ganz schön hier. Es gibt einen großen Fußballplatz und darum herum viel Brachgelände mit Heckenrosen, Sanddorn und sogar ein paar krüppeligen Bäumen, in deren Schatten man picknicken kann. Zur Meerseite hin kann man über Boardwalks spazieren und sich immer mal wieder auf Bänken oder in Strandkörben niederlassen.

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Jetzt um diese Uhrzeit ist sowieso alles wie ausgestorben, außer uns nur ein paar Jogger unterwegs, bestimmt alles Biologen, die abends die Lummenküken einsammeln und beringen. Einer überholt uns auf dem Weg zur Treppe und flitzt in so einem Affenzahn nach oben, daß ich sofort ein schlechtes Gewissen bekomme.

Aus allen Richtungen droht Lebensgefahr. Schnell weiter zur Treppe!

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Wir schnaufen langsam hinterher. In meinem Rucksack klackern die Kokoswasserdosen aneinander, der Ehemann schleppt das Stativ. Mehrmals muß ich stehenbleiben und ein bißchen die Aussicht genießen, bis ich weitergehen kann.

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Oben angekommen dann die Belohnung. Fantastisches Licht, ein leichter Luftzug, und Massen von Vögeln die in der morgendlichen Thermik um die Felsen segeln.

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Außer uns kaum Menschen, ab und zu joggt wieder so ein fitter Naturbursche vorbei, ansonsten nur Leute, die die Atmosphäre genießen und natürlich die Fotografen, die an den besten Stellen einträchtig zusammenstehen. So fotografiere ich dann mit meiner 500 Euro-Kompaktknipse in direkter Nachbarschaft eines professionellen Filmschaffenden mit einer RED, und alle nehmen Rücksicht auf die Filmenden und sind halbwegs leise. Außer den Basstölpeln und Möwen natürlich, aber das soll ja auch so sein.

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Suse65

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Die Basstölpel haben ihren Namen nicht etwa, weil sie so tiefe Stimmen hätten, sondern von dem Felsen, auf dem sich die größte Brutkolonie dieser Art befindet, dem Bass Rock. Eine Felsformation im Firth of Forth in Schottland. Wer sich dafür interessiert, sollte im Blick behalten, wann der Kurzfilm „Life on the Rocks“ irgendwo verfügbar wird. Der 20minütige Kurzfilm von 2020 behandelt den Bass Rock, die Tölpel und die Menschen, die auf ihm lebten und hat auf irgendeinem Kurzfilmfestival schon Preise abgeräumt. Bislang gibt es leider für die Allgemeinheit nur den Trailer:


Die Bezeichnung Tölpel scheinen sie verdient zu haben, wenn man ihre plumpen Bewegungen an Land beobachtet.

Da muß er selber lachen:

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Der Start in die Luft beginnt meist eher mit einer Art Absturz, die wenigsten Vögel erheben sich direkt von ihrem Sitzplatz aus in die Luft, sondern wandern zwischen den anderen Nestern hindurch bis zum Klippenrand und werden dabei von ihren Nachbarn mit heftigen Schnabelhieben verabschiedet. Wenn der Vogel dann mit einem heiseren Klagelaut in die Tiefe stürzt, sieht das eher aus wie Lebensüberdruß.

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Bei der Rückkehr gelingt es dann meist ebensowenig, eine Punktlandung ins eigene Nest hinzulegen, es wird eher ein Bauchklatscher, bei dem der Vogel noch ein Stück weiterkullert, was ihn erneut in die Reichweite der Nachbarsschnäbel bringt. Wenn man die Vögel eine Weile beobachtet, erkennt man sogar leichte Ansätze von Persönlichkeiten, manche Vögel bewegen sich relativ sorglos zwischen den feindseligen Kollegen, manche sitzen nach einer mißglückten Landung minutenlang mit Nistmaterial im Schnabel verschüchtert da und müssen all ihren Mut zusammennehmen, um die paar Meter zum Partner zurückzulegen.

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In der Luft bewegen sie sich um so eleganter und auf der Jagd sind die breiten Füße, auf denen sie an Land so tölpelhaft watscheln, genau richtig. Basstölpel tauchen nach Fischen tief unter Wasser und die Flügel taugen ebensogut für Schwimmbewegungen wie zum Fliegen.
Die Füße erfüllen aber noch eine weitaus wichtigere Funktion, denn mit ihnen werden die Eier ausgebrütet. Der Vogel sitzt zwar mit dem gesamten Rumpf auf dem Ei, aber darunter wird es mit den Füßen fest umschlossen.

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Zum eigenen Partner und zum Küken sind die Vögel ausgesprochen liebevoll, sie putzen sich gegenseitig sorgfältig und der zurückkehrende Vogel wird immer zärtlich begrüßt. Wer keinen Partner abbekommen hat, sucht darum auch fleißig weiter, denn immer nur Schnabelhiebe ist ja auf Dauer auch nix. Die Vögel, die mit gerecktem Hals am Rande der Kolonie entlangspazieren und den menschlichen Besuchern vermeintlich drohend in die Augen starren, betreiben in Wirklichkeit Balzverhalten.

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Küken gibt es in allen Stadien, von der Zeugung über das Ei bis zum fast flüggen Jungvogel.

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Es fliegen auch einige Jungvögel herum, man erkennt sie am gesprenkelten Gefieder.

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Jetzt am Morgen kreisen die Vögel zu hunderten um die Felsen.

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Wenn ich genug fotografiert habe, suche ich mir einen Platz auf einer der Liegebänke, die überall auf dem Oberland verstreut in den Kressewiesen stehen. Man muß zwar erst den Morgentau abwischen, aber dann liegt es sich da sehr bequem. Während der Ehemann weiter filmt, halte ich Ausschau nach Schweinswalen, die man, wenn man Glück hat, in der Nordsee sehen kann, aber das Glück hatte ich bislang noch nie und ohne Fernglas schon gleich gar nicht. Einfach nur daliegen ist aber auch schön, es ist warm, aber noch nicht zu heiß, die Tölpel und Möwen schreien, und man ist richtig, richtig weit weg von allem hier draußen. Dazu ein Schluck Kokoswasser, und spätestens wenn man die Augen schließt, ist das Tropenfeeling dann auch da.

Gegen halb neun machen wir uns auf den Weg nach unten zum Frühstück.

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Irgendwie paßt das ganz gut, jetzt hat man richtig Hunger und danach muß man sich nicht aufraffen und losgehen, sondern kann erstmal im Zimmer zusammenbrechen und dank des coronabedingten Ausfalls der Zimmerreinigung völlig ungestört Siesta halten.

Am Dienstag fällt die dann aber schon gleich kürzer aus, denn wir wollen auf die Düne.
 
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Floridaperle

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Sehr schön eingefangen hast du die Tölpel. Gerade im Flug fast unmöglich.
Wir hatten das Glück in Neuseeland eine Kolonie zu sehen. Ich konnte mich kaum trennen von diesen schönen Tieren.
 

binebiene

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OMG wie du die Tölpel beschreibst - ich lach mich grad halbtot.
Halbtot sogar wörtlich, hab nämlich eine fetzen Erkältung und mein Lachen klingt eher kläglich.

Nur, anhand deiner Beschreibung hab ich da so eine Ahnung entwickelt - zumindest in einem vorherigen Leben muss ich mal ein Tölpel gewesen sein. Ein bisschen hab ichs noch im Blut. Insbesondere plumsen und kullern kann ich sehr gut!
 

Sabine B.

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Was für ein Bericht ❤️ Ich wiederhole mich gerne - ihn zu lesen ist ein Traum.
Wir sind seit gestern wieder zu Hause, haben aber für April wieder eine Woche ‚unser‘ Appartement gebucht. Und dann werden wir auch die Bunkerführung machen! Ich dachte eher, muffig/feuchte Gänge seien nichts, was man gesehen haben muss, denke aber nach Deiner Beschreibung nun anders darüber - das ist Geschichte, wenn auch keine schöne, pur.
‘Den‘ Maulbeerbaum haben wir natürlich auch gesehen - ohne zu wissen welch Berühmtheit wir vor uns haben. Beim nächsten Besuch schaue ich ihn mit anderen Augen an und vielleicht streichle ich dem tapferen Kerl auch einmal über seine raue Haut ?
 
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Suse65

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Sehr schön eingefangen hast du die Tölpel. Gerade im Flug fast unmöglich.
Wir hatten das Glück in Neuseeland eine Kolonie zu sehen. Ich konnte mich kaum trennen von diesen schönen Tieren.

Die Ehre gebührt nicht mir, sondern meinem Mann, der hat so 90 % der Fotos gemacht, auf jeden Fall alle der Vögel im Flug.

Die Tölpel sind toll, keine Frage, aber noch lieber mag ich die Lummen.
 
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OMG wie du die Tölpel beschreibst - ich lach mich grad halbtot.
Halbtot sogar wörtlich, hab nämlich eine fetzen Erkältung und mein Lachen klingt eher kläglich.

Nur, anhand deiner Beschreibung hab ich da so eine Ahnung entwickelt - zumindest in einem vorherigen Leben muss ich mal ein Tölpel gewesen sein. Ein bisschen hab ichs noch im Blut. Insbesondere plumsen und kullern kann ich sehr gut!

Die Tölpel könnte man wirklich stundenlang beobachten. Wir haben letztes Jahr eine Insel mit einer Kolonie Rotfußtölpel geteilt, die waren nicht halb so spannend. Die Basstölpel sind wie ein Haufen garstige Nachbarn in einem Hochhaus, die zanken sich permanent und schon wenn einer zur Landung ansetzt, sieht man, wie die ringsum alle schon genervt hochgucken und den Schnabel wetzen. Und dann platzt der da rein und alle stürzen sich auf ihn, und wenn er dann beim Partner ist, richtet der ihm erstmal das zerzauste Gefieder. Das ist wirklich wie Fernsehen.
 
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