Diesmal gehen wir gleich an den Südstrand, an der kleinen Blockhüttensiedlung vorbei.
Es liegen wieder ein paar Robben hier, viel mehr als letztens sind es aber nicht. Der Ehemann baut direkt das Stativ auf. Ich habe keine Lust zu warten und gehe schon mal vor, wir verabreden, uns später im Inneren der Insel zu treffen. Bevor ich zwischen den Dünen verschwinde, sehe ich ihn noch von weitem unten am Strand mit jemandem in offiziell aussehender khakifarbener Rangerkleidung ins Gespräch vertieft.
Die Düne ist im Inneren von einem Labyrinth aus Holzbohlenwegen und asphaltierten Pfaden durchzogen, die zwischen Sanddornhecken verlaufen, die an manchen Stellen hoch sind, daß zumindest ich nicht darüber hinweggucken kann.
Nachdem die letzte Helgolandreise schon mehrere Jahre her ist, habe ich längst vergessen, wie ich laufen muß, um zu den Orten zu kommen, die ich besuchen möchte. Es ist also eher Zufall, daß ich auf Anhieb direkt am Friedhof der Namenlosen lande, wo die vor der Küste Helgolands ertrunkenen Menschen beerdigt wurden.
Nicht alle sind namenlos und es sind auch ein paar Kriegsgräber und eine Gedenktafel für verstorbene Mitglieder der „Rock’n’Roll Butterfahrt“ dabei. Die Rock’n’Roll Butterfahrt ist ein kleines Festival, das jährlich auf Helgoland stattfindet und dessen Teilnehmer vereinsmäßig organisiert sind.
Wie auch immer, ob namenlos und ertrunken oder nicht, es ist üblich der Toten durch Läuten der Schiffsglocke zu gedenken, ich tue das jedesmal, wenn ich hier bin, Ertrinken muß so ein schrecklicher Tod sein. Es ist immer ein sehr melancholischer Moment, wenn man so zwischen dem Sanddorn und den verkrüppelten Bäumen steht und die Glocke ertönt. Durch die Sanddornhecken vom Seewind abgeschnitten ist es sonst ganz still hier und noch viel heißer als am Strand.
Munter dagegen sind die kleinen Austernfischerküken, die überall auf der Insel herumlaufen.
Aber es gibt auch noch etwas Exotischeres. Auf der Düne gibt es zwei Süßwasserareale, beide werden gern von Möwen angeflogen, die hier ihr Gefieder vom Salzwasser reinigen. Aber es gibt auch Sumpfhühner und Stockenten, und wenn man Glück hat, bekommt man eine der Schmuckschildkröten zu Gesicht. Die sind natürlich irgendwann mal ausgesetzt worden, aber aufgrund der relativ milden Witterung mit kaum je starkem Frost fühlen die sich hier anscheinend ganz wohl.
Jetzt heißt es nur den See wiederzufinden. Ich irre zwischen dem Sanddorn umher und stapfe schließlich sogar auf Johnnys Hill hinauf, um mir einen Rundblick zu verschaffen. Johnnys Hill ist eine künstlich aufgeschüttete Erhebung mit einem Aussichtspunkt in der Inselmitte, nicht wirklich hoch, aber hoch genug, um die Düne in alle Richtungen überblicken zu können. John Krüß, der damalige Düneninspektor, ließ den Hügel genau zu diesem Zweck aufschütten und nach ihm ist er dann auch benannt. Nicht zu verwechseln mit James Krüß, dem Schriftsteller.
Blick nach Westen. Kein Teich in Sicht.
Blick nach Osten. Auch kein Teich.
Während ich oben bin, klingelt mein Handy, der Ehemann ist dran und fragt, wo ich bleibe. Ich sage, daß ich den Teich nicht finden kann, er meint, er säße schon dort. Kaum, daß er das gesagt hat, kann ich ihn in der Ferne auch auf einer Bank sitzen sehen, daß daneben der Teich ist, kann man aus dieser Perspektive nicht erkennen. Wir winken uns zu und ich marschiere wieder los. Obwohl ich die grobe Richtung ja nun schon gesehen habe und es Luftlinie wirklich nicht mehr weit aussah, finde ich den verflixten Teich trotzdem nicht. Ich laufe Asphaltwege und lande vor einem Minigolfplatz, ein Sandweg führt mich zum Strand und ich muß alles wieder zurücklaufen.
Schließlich frage ich den Minigolfplatzbesitzer, ob ich hier zum Teich komme. Etwas mürrisch läßt er mich durch und ich steige über die Hecke an der Grundstücksgrenze und bin endlich da.
Wir beobachten das Treiben am Teich eine ganze Weile, auszuhalten ist das aber nur, weil wir die Regenschirme als Sonnenschutz aufspannen.
Wahrscheinlich ist es sogar den Schildkröten heute zu heiß, wir sehen diesmal keine einzige, aber ansonsten ist relativ viel los. Es gibt sie aber wirklich:
Ein Hauch Florida auf Helgoland:
Die Möwen kreisen so lange am Himmel, bis sie sehen, daß unten im Wasser wieder Platz frei geworden ist, dann landen sie, um zu baden. Es geht zu wie auf einem größeren Flughafen.
Der Ehemann erzählt mir, daß er vorhin mit dem Robbenjäger der Düne gesprochen hat. Die Robbenjäger sind weniger Jäger, als eher Ranger, und so wissen wir jetzt, woran es liegt, daß so wenige Robben am Strand liegen. Derzeit seien vor Helgoland große Heringsschwärme unterwegs, die Robben sind alle draußen und stopfen sich voll. Anders sei es noch im Frühjahr gewesen, im April hätten um die Lange Anna um die 400 und auf der Düne um die 1200 Robben gelegen. Vermutlich ist das wie mit den Tölpeln, in der besucherfreien Zeit haben die Tiere eben wieder mehr Raum einnehmen können. Die über 1000 Robben auf der Düne hätte ich gern gesehen, das muß ein gewaltiger Anblick gewesen sein.
Auch ein gewaltiger Anblick sind dann abends die Knieper, die vor uns aufgetischt werden. Verstaubt und verschwitzt von der Düne zurückgekehrt, haben wir versucht, uns ordentlich herzurichten für das feine Essen. Das Aquarium Café ist jetzt kein Sternerestaurant, aber Knieper ist auch keine Massenware, sondern fast so selten wie der Helgoländer Hummer, und schon deshalb nicht so ganz günstig. Man bekommt allerdings auch eine anständige Portion, so ungefähr ein Kilo soll das sein pro Person. Dazu gibt es Weißbrot und verschiedene Soßen. Satt wird man auf jeden Fall.
Den Knieper servieren sie hier immer sehr heiß, das mag ja nicht jeder bei Schalentieren, weil es auf Kosten des Geschmacks gehen soll. Wir haben keine Fotos von unserem Essen, aber Uwe hat welche in seinem Reisebericht. Inklusive Vorspeise, Weißwein und Wasser kamen wir zu zweit auf eine Rechnung von 85 Euro, nur, damit man mal eine Hausnummer hat. Muß jetzt jeder selbst entscheiden, ob das zu teuer oder angemessen ist, aber Knieper Essen ist auf Helgoland eigentlich ein Muss, wenn man nicht gerade Vegetarier ist. Uns hat es so gut geschmeckt, daß wir überlegen, für den nächsten Tag nochmal zu bestellen, das scheitert dann aber daran, daß es in den kommenden Tagen keinen Knieper gibt.