High Springs und Santa Fé River
Für den Abreisetag hält sich das Wetter gerade noch. Wir fahren Landstraße und kurz hinter Leesburg auf die Interstate 75. An der Autobahnauffahrt machen wir Mittagspause und finden hier auch unser erstes Citrus Center dieses Urlaubs. Überall im Norden gibt es diese kleinen oder größeren, meist an Tankstellen angegliederten Fruchtstände, die die „Nationalfrüchte“ Orangen und Pampelmusen verkaufen, dazu allerhand mehr oder weniger kitschige Souvenirs, und die als Besuchermagnet „live Baby Gators“ ausstellen. Werbetafeln mit niedlichen aufgemalten kleinen Babygators, die ihre Eierschalen, aus denen sie noch nicht ganz herausgeschlüpft sind, als Windeln um den Po tragen, locken Besucher an.
Im Laden dann drei kleine Baby-Alligatoren – not for sale und ohne Windeln natürlich – in einem Terrarium. Wir kaufen Postkarten, Marmeladen für die Daheimgebliebenen, und Honig für uns. Den seltenen Tupelo-Honig, den ich eigentlich mitbringen wollte, stelle ich wieder ins Regal zurück, nachdem ich ihn eine Weile unschlüssig hin und hergedreht habe. Er mag sein Geld wert sein, aber mir ist er mit über 30 Dollar für ein kleines Glas dann doch zu teuer.
Auf der I75 passieren wir Ocala und Gainesville. Am Straßenrand große Werbeschilder für weitere Citrus Center mit und ohne Windelgators, und in Richtung Staatsgrenze Georgia ein großes Florida Welcome Center, in dem es alle Köstlichkeiten Floridas dann im Übermaß gibt. Die 13 Foot-Gators, mit denen solche Center werben, sind allerdings nicht live, sondern ausgestopft.
In Ocala passieren wir Don Garlits Dragster-Museum, für Autofans ein Muß, aber dieses Jahr nicht auf unserem Plan. Dennoch als Tip für alle, die sich für schnelle und alte Autos interessieren, es ist sehenswert. Soweit ich weiß, lebt Big Daddy Don noch, er müßte Mitte 80 sein. Das Dragsterfahren hat er allerdings seiner Frau zuliebe mit Ende 70 aufgegeben.
http://garlits.com/
So schaut es drinnen aus:
In Gainesville durchschneidet die I75 für ein kurzes Stück die Paynes Prairie und der Ehemann
guckt sich auf dem Beifahrersitz die Augen aus. Hier sieht es wasserreicher aus als weiter südlich in Orlando, aber das werden wir uns später noch genauer anschauen, denn hier gibt es neben großen Gators verwilderte Pferde und Bisons. Und unheimliche Menschen, aber das wissen wir in diesem Moment noch nicht.
Unser Ziel liegt zunächst einmal noch weiter im Norden und heißt High Springs, ein kleiner Ort im ländlichen Florida, der ganz anders ist, als das karibisch-tropisch anmutende Key West. Hier, wo sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen, die artesischen Quellen mehr oder weniger üppig sprudeln und die Menschen auf der Veranda sitzen, süßen Eistee trinken und „y’all“ sagen. Die Einheimischen meinen, dies sei „the real Florida“ und fahren stolz entsprechende Nummernschilder spazieren.
Wir suchen ein entlegenes Grundstück am Flußufer des Santa Fé River. Die Straßen werden immer schmaler, von der Interstate auf eine Landstraße, eine kleine Nebenstraße, schließlich ein unbefestigter Sandweg. Als wir die Abzweigung zu unserer Unterkunft für die kommenden 3 Tage gefunden haben, plötzlich am Wegesrand ein Rudel Weißwedelhirsche, doppelt so groß wie die auf den Keys. Am Waldrand weiter hinten eine Hirschkuh mit Kitz. Wir sind in der Lazy Turtle Lodge angekommen.
Wir melden uns bei den Vermietern, die ein wunderschönes großes Blockhaus auf Stelzen direkt am Wasser bewohnen, und bekommen die Schlüssel. Und dann geht es hinein in den Turtle Palace, einen großen, mit einem Vordach überbauten Camper. Ein bißchen eng ist es, aber wir sind mitten im Wald, außer uns derzeit keine anderen Gäste, es ist herrlich!
Mit dem Wissen um die bevorstehende Wetterverschlechterung packen wir aus und beeilen uns, hinunter ans Flußufer zu kommen, wo wir ein Holzdeck für uns allein haben. Wenigstens ein paar Stunden im Abendlicht am träge dahinfließenden Santa Fé River sind uns vergönnt. Wir bleiben bis in die Nacht so sitzen. Und dann kommt der Regen, genau wie vorhergesagt.
Es ist ja nun nicht so, daß uns Tropenregen fremd wäre oder daß uns nicht klar wäre, daß er nötig ist. Ohne Regen keine üppige Natur. Aber muß er denn gerade jetzt kommen, wo wir hier im Wald sind, wo wir doch so schöne Pläne hatten? Statt dessen kann man förmlich zusehen, wie Moos an den Wänden und Schwimmhäute zwischen unseren Zehen wachsen, ist man einmal naß geregnet worden, wird nichts mehr trocken. Alles ist klamm und es ist schlicht ungemütlich, so daß wir tatsächlich gezwungen sind, die Klimaanlage einzuschalten, um die Feuchtigkeit aus dem für solche Situationen natürlich denkbar ungünstigen kleinen Wohnwagen zu bekommen.
Immerhin ist das Vordach so groß und geräumig und die Temperaturen trotz des Dauerregens gleichbleibend lauwarm, daß das geplante abendliche Barbecue auf dem zur Unterkunft gehörenden High-Tech-Grill nicht ausfallen muß. In der winzigen Küche riesige Steaks braten zu müssen, das hätte mir gerade noch gefehlt!
Wir machen das Beste aus der Situation. Das kleine High Springs verfügt neben einer wirklich hübschen historischen Altstadt und einem stillgelegten Bahnhof auch über eine enorme Dichte an verschiedenen Ein-Dollar-Läden. Zum Glück teilen wir neben der Liebe zu Natur und Wildnis auch die für alte Gemäuer und verlassene Ruinen, und gehen auf ausgiebige Fototour. Die Liebe zu den Billigläden hat der Mann hingegen eher für sich allein; manchmal, wenn ich des vielen Plastikkrams in den Regalen überdrüssig werde, bleibe ich im Auto, bewache die Sony und zapfe das hier im Übermaß vorhandene W-Lan an. In der Lazy Turtle Lodge sind wir nämlich abgeschnitten von allem, auch vom Fernsehen, so daß das Wetter jeden Tag eine Wundertüte bleibt. Die allerdings keine freudigen Überraschungen enthält, die Sonne gibt allerhöchstens Gastspiele.
In der Umgebung der kleinen Stadt sind die Hirsche besonders häufig und werden gelegentlich Opfer des Straßenverkehrs, aber sogar diese an sich unerfreuliche Tatsache bietet in Florida einen gewissen exotischen Schauwert. Scharen von Geiern belagern die Kadaver am Straßenrand, manchmal sind es bis zu 30 Vögel, die sich um das Aas streiten und einmal mehr sieht Florida hier aus wie Afrika.
In den Regenpausen versuchen wir, ein bißchen von der Umgebung zu erkunden. Ein sonniger Nachmittag ist uns im O’Leno State Park vergönnt, wo man den Santa Fé auf einer historischen Hängebrücke überqueren und bis zu der Stelle begleiten kann, wo er für die nächsten drei Meilen unterirdisch weiterfließen wird, dem River Sink. Das Wasser verschwindet hier nicht etwa mit Getöse in einem Abgrund, sondern versickert langam im porösen Kalkstein, aus dem ja quasi ganz Florida besteht, um drei Meilen weiter östlich wieder an der Oberfläche aufzutauchen, dem sogenannten – wer hätte es gedacht – River Rise.
Ich finde die Vorstellung, daß es Menschen gibt, die solche unterirdischen Höhlensystem tauchend erkunden, unfaßbar gruselig. Aber tatsächlich ist dies eine bevorzugte Freizeitgestaltung der nördlichen Floridianer.
Auf den Live Oaks entlang des Flusses hat der Regen den Resurrection Fern auferstehen lassen, so daß die waagerecht abstehenden Äste aussehen, als seien sie selbst ein Waldboden im zweiten Stock, dicht bewachsen mit Farn und Moos.Auf dem Fluß Schildkröten in rauhen Mengen, die genau wie wir hastig zum Sonnenbaden ausgerückt sind. Wer weiß, wie lange das schöne Wetter anhält!
Wenn wir abends in der Lodge zurück sind, ist es seltsam, daß wir diesen anderenorts so stark frequentierten Fluß hier an dieser Stelle ganz für uns haben. Es ist zu schade, daß wir das nicht besser genießen können. Wie hatten wir uns das schön ausgemalt, morgens in aller Frühe hinunter zum Fluß zu gehen, im Morgenlicht vom Wasser aufsteigende Nebelschwaden...
Nur ein kurzes Stück flußabwärts gibt es eine kleine Quelle. Direkt neben einer Insel im Fluß, nach der sie benannt ist, liegt Rum Island Springs. Der Quelltopf ist nicht sehr groß und flach und läßt gut den Übergang zwischen dem klaren Quellwasser und dem Schwarzwasser des Santa Fé erkennen. Als wir ankommen und ein paar Jugendliche in der Quelle baden, ärgere ich mich, daß ich mein Badezeug nicht dabei habe, aber nicht für lange, denn wir schaffen es nicht einmal mehr trocken zurück zum Auto, bevor uns das nächste Gewitter mit einem Wolkenbruch beglückt.
Das Schwimmen und Schnorcheln in den Quellen (und ja eigentlich auch im Fluß) ist die Aktivität, der wir für den Rest des Urlaubs hier und an unserer nächsten und letzten Etappe eigentlich einen Großteil der Zeit widmen wollten, und wir machen uns schon Sorgen, ob das so klappen wird, eine Wetterbesserung scheint nämlich erstmal nicht in Sicht. So beschäftigen wir eben mental mit den artesischen Quellen, in unserem kleinen Schildkrötenpalast gibt es genügend entsprechende Fachliteratur. Was wir dort lesen wirkt besorgniserregend, ist aber keineswegs neu. Die sensiblen Grundwasserquellen leiden unter den Menschenmassen, die sich in den Sommermonaten hier auf verschiedenste Weise vergnügen, aber vor allem unter der Wasserentnahme und Schadstoffbelastung durch Landwirtschaft mit einhergehendem Algenwachstum sowie dem wie in allen Industrienationen beständig beschworenen Wirtschaftswachstum mit einhergehender Bodenversiegelung und Bevölkerungszunahme.
Wer sich mit den Quellen näher als nur zur Freizeitgestaltung beschäftigen möchte, dem sei die Veröffentlichung „Silenced Springs“ von Robert L. Knight empfohlen. Ein Buch, das auch die politischen Hintergründe beleuchtet, die mit dafür verantwortlich sind, daß den Quellen Nordfloridas bis heute nicht der Schutz zugestanden wird, dessen sie eigentlich dringend bedürften:
https://howardtodumfloridaspringsinstitute.wildapricot.org/Silenced-Springs
Am letzten Tag regnet es so stark und fast ununterbrochen, daß ich die Hütte nur für einen kurzen Spaziergang auf dem Waldweg verlasse. In dieser Mischvegetation am Übergang zwischen Tropen und gemäßigter Zone wächst irgendwie alles durcheinander, Palmettos, Kiefern, Orchideen und Kakteen, die auf einer Wiese neben der Lodge gerade zahlreich gelb blühen. Sehr weit komme ich auf meinem Spaziergang aber nicht, auch hier überall Zäune. Pfade, die vom Hauptweg in den Wald hineinführen würden, gibt es nicht, dafür Warnschilder, die Grundstücke nicht zu betreten sowie zahlreiche Zuneigungsbekundungen für Herrn Trump. Dafür kommt die Natur zu uns; während ich im Wohnwagen stehe und in der Küche herumräume, kann ich vom Fenster aus Rehe beobachten. Wie schön es hier bei gutem Wetter gewesen wäre.
Wir verlassen die Lazy Turtle Lodge also ein klein bißchen enttäuscht, nichtsdestotrotz um einige Erlebnisse reicher.
Auch am Abreisetag schüttet es dermaßen, daß das Beladen des Autos zu einer logistischen Leistung mit Regenschirm und vor Nässe quietschenden Flipflops wird. Dann rollen wir den Sandweg entlang, ein paar wilde Truthähne flüchten zeternd vor uns, und dann hat uns die Zivilisation wieder, denn unsere nächste und letzte Station auf dieser Reise wird ein Motel in Lake City sein.