28. August 2007
Ein kühler, regnerischer (deutscher) Novemberabend im letzten Jahr. Man mag keinen Hund vor die Tür jagen! Aber genau das richtige Szenario, um den Familienrat einzuberufen. Einziger Tagesordnungspunkt: Freuen auf Florida 2007! Nach monatelanger Recherche habe ich mir fünf Eckpunkte für die Reise überlegt und möchte gerne demokratisch abstimmen lassen, bevor ich mit der konkreten Planung beginne:
1. Land und Leute (Rundreise)
2. Action (Parks)
3. Strand und Meer (Hotels)
4. Natur (Crystal River)
5. Kunst (Dali-Museum)
Jeder hat drei Stimmen, es ist nicht einfach, eigentlich gehört alles zu einer Floridareise, aber wir müssen Akzente setzen, es ist sonst nicht zu bewältigen. Miami und die Keys sind einvernehmlich gesetzt! Das Ergebnis: Unsere Tour wird eine Rundreise mit Stationen an der Ost- und Westküste und einem Adrenalinstopp in Orlando! Punkt 5 hat übrigens überhaupt keine Stimme bekommen, was sind wir nur für Kunstbanausen!
Ganz ohne Natur und Tiere geht es dann aber doch nicht, ich habe noch das traurige Gesicht meiner Frau nach der Abstimmung vor Augen, die lieber Kanu als Roller Coaster gefahren wäre. Also wenigstens ein Vormittag Everglades. Eigentlich wollten wir ja die Billie Swamp Safari machen, aber in meinem desolaten Zustand ist mir der Gedanke an einen Tagesausflug ein Graus. Wie wär’s mit einer Airboat Tour? Ich weiß, es ist ein ökologisch fragwürdiger Spaß, aber was ist hier schon nicht ökologisch fragwürdig!
Ochopee – das kleinste Postamt der USA, ebenso wie der Southernmost Point ein Foto-Pflichttermin:
Auf einen Abstecher nach Everglades City, in dieses verschlafene Nest inmitten der Ten Thousand Islands, am Ende der Welt. Pfahlbauten, umgeben von Wasser, Westernkulisse! Obwohl es nicht wirklich viel zu sehen gibt, möchte ich bleiben, fühlen, staunen…!
Put, put put – wo ist denn das kleine Krokodil?
Okay, wir rufen uns jetzt alle die Szene aus dem Pilot von Miami Vice ins Gedächtnis, als Don Johnson mit unnachahmlichem Schlafzimmerblick folgenden, in die Geschichtsbücher eingegangenen Satz sagt:
„Das ist kein Krokodil, Tubbs, das ist ein A-L-L-I-G-A-T-O-R!“ Wir fahren morgen doch auch nicht durch die Krokodilgasse sondern über die Alligator Alley zur Hinrichtung, ähm, zum Flughafen. (Ich darf gar nicht daran denken!) Es ist ja nicht so, dass wir auf unserer Reise noch keine Alligatoren gesehen haben. Ilona hat auf der Busfahrt durch das Kennedy Space Center einige im Graben neben der Straße erspäht. (!) Das muss man sich einmal vorstellen: Die Welthauptstadt der Raumfahrt, High Tech wohin das Auge blickt – und dann liegen Alligatoren am Straßenrand herum! In diesem Land ist nichts unmöglich.
Nun aber – "Jungle Erv’s Airboat Wildlife Safari"!
Captains are all Native Guides – They all grew up with the Alligators! Na, das klingt doch schon mal nach jeder Menge wilder Tiere. Eine Stunde Airboat, geschmeidige $ 103,75. (mit Discount Coupons) Rache für Osceola – bluten sollt ihr Bleichgesichter!
Das Airboat startet mit ohrenbetäubendem Lärm und geht ab wie Schmidt’s Katze. Angst! Die schweben im Film immer so gemütlich dahin. Unser indianischer Bootsführer mit dem schönen seminolischen Namen Jimmy macht sich einen Spaß daraus, einige halsbrecherische Kurven zu fahren und den Kahn beinahe zum Kentern zu bringen. Mir ist eh schon schlecht!
Kurze Zeit später - wir gleiten seit einer Weile nahezu lautlos durch die atemberaubende Mangrovenwildnis - tauchen die ersten (und letzten) Tiere auf:
Great Blue Heron und Alligator in trauter Zweisamkeit
Es ist mir ein Rätsel, wie sich der Guide in diesem Labyrinth zurechtfindet. Kreuz und quer, mal mit Speed über kleine Grasinseln, mal mit gedrosseltem Motor durch’s Unterholz. Die Stunde ist um wie nichts und wir sind um eine weitere unvergessliche Erfahrung reicher.
Auf dem Rückweg nach Naples ein kleiner Umweg: Marco Island – The Ultimate Destination in South West Florida! In einigen Straßen stockt dir der Atem. Villen - ja Schlösser - Säulen, Türmchen, Kapitelle…Wer kann sich so etwas nur leisten? Ft. Lauderdale ist ein Provinznest dagegen und Julius Cäsar’s Rom kann auch nicht viel prunkvoller ausgesehen haben. Manchmal glaube ich, für Architekten muss dieses Land der Garten Eden sein.
Was für ein Kontrast zu Everglades City!
Du erinnerst dich, liebes Tagebuch, der Erwerb einer Boot Cut Jeans in der Größe 30/34 gehört zu den essentiellen Urlaubszielen unseres Sohnes. Wie es der Zufall will, haben wir in letzter Minute die Coastland Center Mall in Naples entdeckt, Macy’s, A & F – alles da! Nur keine Dark Blue Jeans für den Milchbart. In einem Laden eilt sogar der Geschäftsführer herbei, Regale werden leer geräumt, Verkäuferinnen ruinieren schwitzend ihr Makeup und - die Sanduhr läuft und läuft…
Nach zwei Stunden ist es mit meiner Milde und Friedfertigkeit vorbei, ich bin erstmals auf dieser Reise mittelschwer angefressen. Wir haben insgesamt einen kompletten Urlaubstag mit der Suche nach der blöden Jeans vertrödelt, soll er sich doch zu Hause von Oma eine stricken lassen! Over and out! Ich will meine letzten Stunden in diesem Urlaub am Strand von Naples verbringen, mich auf das Versinken der Sonne im Meer vorbereiten und mit meiner Trauer alleine gelassen werden. So soll es sein, Ende 5th Ave, der letzte Märchenstrand unserer Tour.
Während Ilona schon wieder auf Muschelsuche ist, (!) lege ich mich bewegungslos ins flache, warme Wasser und erlebe beglückt, wie mich vollkommene Ruhe erfasst. Nichts ist mehr zu planen, nichts mehr zu verpassen, es ist vollbracht!
Vollendete Harmonie
Zurück ins Hotel, umziehen, frisch machen, wir wollen zum Abschluss noch einmal richtig mondän essen gehen.
Kurzbesuch Tin City und dann ein letztes mal auf zum Pier. Sonnenuntergang, einmal muss es doch gelingen! Eine nachdenklich stimmende Szene, irgendwie passend zum Ende der unbeschwerten Tage: Mahnwache gegen den Irak-Krieg am Strand von Naples!!
Die Sonne verbirgt sich hinter Wolken, unsere letzte Chance ist dahin. Es wird rasch dunkel und die Menge zerstreut sich enttäuscht. Adios, Golf von Mexiko. Irgendwie hat keiner mehr Hunger…