Abgesehen vom Security-Warteschlangen-Chaos am BER haben wir einen ruhigen Flug mit United zu angenehmen Zeiten am Vormittag. Unterwegs gibt es irgendeinen Pamps mit pikant gewürztem Hähnchen, es ist aber schmackhaft, und niemand ist übertrieben unzufrieden.
Film schaue ich keinen. Weil es Mutters Geburtstagsreise ist, bekommt sie den Fensterplatz und dank guter Sicht schauen wir des Öfteren mal raus und kommentieren unseren Flug über Nordkanada und die Ostküste hinunter.
Das Lesen des Reiseführers füllt den Rest der Zeit, aber so auf die Schnelle läßt sich der Kopf dann auch nicht mehr mit Informationen vollstopfen, zu denen man eigentlich noch keinen wirklichen Bezug hat. Was da über die New Yorker an sich steht, ist mir schon irgendwie vertrauter. Obwohl der klassische New Yorker stets gestreßt sei, besonders im FiDi, dem Financial District, seien die meisten sehr freundlich zu den Touristen, obwohl sie sich häufig durch deren Verhalten im Tagesablauf behindert fühlten. Jaja, denke ich, kenne ich. Schlendernde Touristen, die völlig vergessen, daß andere hier leben und unter Zeitdruck stehen. Also nicht zu dritt nebeneinander herbummeln und die gesamte Breite des Fußwegs blockieren; wenn man etwas betrachten möchte, erst an die nächste Hauswand treten und nicht mitten auf dem Weg eine Vollbremsung hinlegen, keine Hauseingänge oder Rolltreppen blockieren. Großstadt können wir, denke ich. Aber Hochmut kommt vor dem Fall und ich werde auf dieser Reise tatsächlich doch einmal durch nicht metropolenkonformes Verhalten anecken.
Wir haben uns auf Anraten des Reisebüros für die Anreise über Newark entschieden. Schon beim Landeanflug haben wir gute Sicht auf die Skyline. Immigration geht harmlos vonstatten, wir werden lediglich nach der Aufenthaltsdauer gefragt, weiter nichts. Meine Mutter wird nach einem Blick in den Paß und vermutlich auf das Geburtsdatum überhaupt nicht angesprochen.
Wären wir nur zu zweit gewesen, hätten wir vielleicht den PATH-Zug zum World Trade Center benutzt, aber um es insbesondere für meine Mutter möglichst komfortabel zu haben, nehmen wir ein Taxi. Was uns diese oder auch weitere Taxifahrten kosten werden, haben wir im Vorfeld nicht herausbekommen können, da es in New York keinen einheitliches Preismodell zu geben scheint. Die Kosten ändern sich je nach Bezirk in dem man sich bewegt und auch mit der Geschwindigkeit, in der das Taxi fährt. Zumindest ich war zu begriffsstutzig, um das zu durchschauen.
Trotzdem wird es am Ende keine böse Überraschung geben, denn was man zu zahlen hat, erzählt einem im Voraus schon der Dispatcher, der die Cabs bereits im Flughafengebäude zuteilt. Wir brauchen einen Moment, um das System zu verstehen, einfach vors Gebäude treten und ein wartendes Taxi zu nehmen, so funktioniert das hier nicht.
Vor dem Dispatchertisch steht schon ein Haufen Leute. Meine Mutter, die kein Englisch spricht, ist natürlich nicht nur deswegen außen vor, sich hier anzustellen. Der Ehemann ist aufgrund des dringenden Bedürfnisses, den flugbedingten Nikotinentzug wegzuvapen entschuldigt und steht schon dampfend vor der Tür. Also bleibts an mir hängen und ich stelle mich leicht genervt an das Ende der Schlange.
Es geht dann aber alles relativ schnell; wenn man an der Reihe ist, wird die Anzahl der Passagiere, die Anzahl der Gepäckstücke und das Ziel abgefragt und man bekommt ein Taxi zugewiesen, das einen dann vor dem Gebäude einsammelt.
Noch während ich das dem in eine Dampfwolke gehüllten Ehemann mitteile, sehe ich unser Taxi schon kommen und muß nun schnell die Mutter hochscheuchen. Vielleicht wäre der PATH gar nicht so viel anstrengender gewesen.
Die Taxifahrt ist aber trotzdem schöner. Im Gegensatz zu Los Angeles, wo wir dieses Jahr nur noch ausschließlich Elektrotaxis gesehen haben, fahren hier noch Verbrennungsmotorgetriebene und unseres ist schon ein bißchen in die Jahre gekommen, das hat einen altmodischen Charme. Unser Fahrer macht ordentlich Tempo und wir fahren mit brüllendem Motor auf die Skyline zu.
Die Fahrt dauert insgesamt ungefähr eine halbe Stunde. Als wir den Holland-Tunnel passieren, geht es nur noch langsam voran und wir verrenken uns die Hälse, als wir auf der anderen Seite in Manhattan wieder ans Tageslicht kommen. Der Weg bis zum Hotel ist dann nur noch kurz. $ 65 kostet uns die Fahrt, was wir als angemessen empfinden. Es gibt ein anständiges Trinkgeld dazu, der Fahrer ist schon älter und kann das sicher gebrauchen, dafür erhalten wir viele gute Segenswünsche. Da kann die Reise ja nur noch gut werden.
Danach kommt man kaum richtig zu sich, vor uns das Hotel, neben uns das Oculus und der One World Tower, man weiß gar nicht, wo man zuerst hinschauen soll, außerdem war da ja was mit großstadtkonformem Verhalten, also zügig aussteigen, die Koffer schnappen und die Fahrbahn frei gemacht. Bevor wir dazu kommen, sind aber schon zwei Herren in Livrée aufgetaucht, nein Madam, das überlassen Sie uns, und vielen Dank, daß sie das Millenium gewählt haben. Uns ist ein bißchen schwindelig, als wir unseren entschwundenen Koffern hinterherstolpern.
Es gibt in New York eine Handvoll Hotels, die den Namenszusatz „Millennium“ tragen. Unseres ist das Millenium Downtown und am fehlenden „n“ im Namenschriftzug zu identifizieren. Es hat vier Sterne, 55 Stockwerke und eine unfassbar gute Lage.
Stay in the heart of the Financial District with the best views.
www.millenniumhotels.com
Daß wir in diesem Hotel wohnen wollen, stand von Anfang an fest. Zum einen, weil die fliegenden Familienangehörigen hier früher bei den Layovers untergebracht wurden und zum anderen der Ehemann bereits selbst vor Jahren mit seiner Mutter hier abgestiegen ist und das Hotel somit mehrfach als für gut befunden und darüber hinaus als müttertauglich getestet war.
Auch dieser Aufenthalt hat keine negativen Eindrücke hinterlassen und wir können das Hotel uneingeschränkt empfehlen. Pandemie- bzw. daraus resultierend personalmangelbedingt hat das Restaurant aktuell geschlossen, auch Frühstück gab es keines, aber ich glaube, das ist derzeit die Situation in vielen anderen Hotels auch.
Das Millenium ist von außen ein schlichter Hochhausturm, der mit den anthrazitfarben verspiegelten Scheiben aber eine gewisse Eleganz hat. Innen ist es in angedeutetem Art Déco eingerichtet, die Zimmer sind aber eher neutraler internationaler Hotelstil und weder besonders hübsch noch häßlich. Ehrlich gesagt ist das aber auch nicht wirklich wichtig, man schaut sowieso nur immerzu aus dem Fenster. Es gab jeden Tag zwei Flaschen Mineralwasser gratis aufs Zimmer und das Bad hat eine Wanne. Nicht zu verachten bei aufkommendem Muskelkater.
Wir hatten zwei Superior-Zimmer, wer sich hierzu die Preise auf der Webseite anschaut, sollte genau auf die Reisedaten achten, da die Preise datumsabhängig sehr stark schwanken. Darüber hinaus wird hier eine Resort-Fee von zur Zeit unseres Aufenthaltes $ 55 pro Tag berechnet, die man auf den jeweiligen Preis noch draufschlagen muß. Insgesamt darf man die Preise für Manhattan und ein Hotel dieser Kategorie aber sicher noch als normal betrachten. Was aber wirklich unbezahlbar ist, ist die Lage.
Wir haben jeweils ein Zimmer im 19. und eines im 22. Stock. Weil es ja Mutters Geburtstagsreise ist, soll sie das im 22. Stock haben, aber wie Mütter so sind, verzichtet sie, und meint, ihr reicht der 19. auch. Der Unterschied ist dann auch nicht wirklich wahrnehmbar. Als wir eingecheckt haben, sind die Koffer schon auf die Zimmer gebracht worden, der Page begleitet uns und öffnet mit großer Geste die Vorhänge, das ist hier vermutlich so eine Art Ritual die Gäste zu beeindrucken, und auf uns wirkt es wie vorgesehen.
Die nächsten 10 Minuten verbringen wir nur damit, mit offenem Mund aus dem Fenster zu schauen und eine Tonne Fotos zu machen.
Weder die Mutter noch wir sind besonders geschafft von der Anreise, also gönnen wir uns nur eine kurze Ausruhphase. Es ist später Nachmittag und der kann noch genutzt werden. Unten vor dem Hotel stehen drei Bänke mit Blick auf das Oculus, das wird für die kommenden Tage unser Treffpunkt. Von da aus marschieren wir gemeinsam los, der Ehemann, der als einziger von uns die Orientierung hat, voran. Unser Ziel ist die Wall Street, ungefähr eine Viertelstunde zu Fuß vom Hotel entfernt.
Die erste große Querstraße, die hinter dem Hotel verläuft, birgt gleich die erste große Überraschung für mich: Das ist ja der Broadway!
Der kleine Zusatz auf dem Schild, der auf den Canyon of Heroes hinweist, bezieht sich auf die in das Pflaster des Fußwegs eingelassenen Namensbänder, die den wichtigen Personen zuteil wurden, die zu Lebzeiten bereits mit einer der hier früher üblichen Konfettiparaden geehrt wurden. So eine Art Walk of Fame des FiDi sozusagen. Touristen erkennt man dann auch daran, daß sie mit gesenkten Köpfen über den Broadway latschen, wir bilden da keine Ausnahme.
Zur Feier des Weltmeistertitels richtete die Stadt New York eine große Siegesparade für das amerikanische Fußballnationalteam der Frauen aus. Das Event fand im sogenannten ‘Canyon of Heroes’ statt, dem südlichsten Teil des Broadway zwischen City Hall und Battery Park, wo seit 1886 besondere...
newyorkaktuell.nyc
Broadway, das war für mich da oben, in Uptown, wo die Lichter glitzern und es tanzt und singt, aber nicht hier unten. Daß der Broadway sich bis zur Südspitze Manhattans zieht, war eindeutig eine meiner Wissenslücken. Das sorgt natürlich gleich für die erste Unterbrechung, das Straßenschild und überhaupt die Straße muß fotografiert werden, auch wenn das Auffälligste hier in diesem Abschnitt die immensen Müllberge sind, die sich alle paar Meter stapeln.
Es scheint sortierter Recyclingmüll zu sein, Dosen und Plastik, und diverse Personen sind mit dem Abtransport beschäftigt. Ich warte extra ab, um niemandem das Gefühl zu geben, er sei als als Müllsammler mein zentrales Fotomotiv, aber das gelingt mir nicht, später werde ich auf einem Foto ganz am Rand noch einen Mittelfinger präsentiert bekommen. Wie mans macht…
Die Wall Street selbst verblüfft mich erneut. Das hatte ich mir hier größer vorgestellt. Es ist zwar sicher inzwischen schon Feierabend und erklärt, weshalb hier keine Scharen von Brokern in maßgeschneiderten Anzügen und mit flatternder Krawatte geschäftig hin und her eilen, sondern ausschließlich Touristen die schmale Gasse bevölkern.
Vor der Börse die Statue des Furchtlosen Mädchens, die 2017 zum Weltfrauentag (der Tag, an dem Berliner frei haben!
) errichtet wurde.
www.handelsblatt.com
Hier ist definitiv am meisten los und auffällig ist, daß seitens der Fotografen ein merkwürdiges Interesse besteht, dem Mädchen unter den bronzenen Rock zu fotografieren. Wir beobachten das mehrfach.
Hauptsächlich wird aber die Begleitung, vor allem die eigenen Kinder neben der Statue positioniert, hoffentlich hat es prägenden Einfluß, vor allem auf die Mädchen, denn der Sinn dahinter ist ja immerhin female empowerment.
Allerdings finde ich die Statue ohne den ursprünglich dazugehörenden Charging Bull, der weiter südlich auf dem Bowling Green steht, ein bißchen sinnlos. Ohne den Bullen, dem sie ursprünglich gegenüberstand und ihre Furchtlosigkeit ausdrückte, wirkt sie wie eine erstaunte Göre, die einfach nur den Stock Market bewundert. Aber das ist natürlich nur meine persönliche Wahrnehmung.
Danach haben wir Hunger und nun kommt der Moment, den ich gefürchtet habe: Wo essen wir und was essen wir da? Kleine, nette Lokale mit halbwegs budgetfreundlicher Speisekarte haben wir bislang nicht entdecken können. Unser Hotel hat pandemiebedingt aktuell keinen Restaurantbetrieb, einige andere Hotels in der näheren Umgebung schon. Die weißen Tischdecken und eleganten Windlichter warnen schon vor, daß die Preise auf den Speisekarten jenseits von Gut und Böse sind. Wir können noch nicht ahnen, daß wir bald unseren persönlichen Mentor haben werden, der uns in die Geheimnisse des FiDi einführen wird.
Wir sind für den Moment ein bißchen ratlos und wählen der Einfachheit halber den nächstgelegenen McDonald’s. Die Mutter ist nicht so richtig begeistert, fügt sich aber mangels aktueller Alternativen in ihr Schicksal. Die Chicken McNuggets und die Pommes sind dann auch gar nicht so übel, im Obergeschoß bläst die Klimaanlage auch nicht wirklich schlimm und insgesamt ist es ganz gemütlich und auch ganz cool dekoriert.
Wir sitzen in einem McDonald’s auf dem Broadway, wie aufregend!
Langsam macht sich dann aber doch die Erschöpfung breit und wir kehren zum Hotel zurück. Unterwegs decken wir uns bei einem netten Chinesen in einem Straßenkiosk mit Getränken ein. Die Waren scheinen hier keinen festen Preis zu haben, er bietet uns von sich aus einen üppigen Mengenrabatt an. Daß die Preise gern mal spontan entschieden werden, wird uns später noch an den Hotdog-Wagen auffallen, die häufig auch keine Preisliste haben und der Hotdog an verschiedenen Tagen unterschiedlich kostet.
Auf den Bänken vor dem Millenium lassen wir den Abend ausklingen, es ist sommerlich warm und auf der Straße ist soviel los wie am Nachmittag. Wir besprechen, daß der morgige Tag mit einem Besuch des 9/11 Memorial beginnen soll. Für die Mutter und mich buche ich für den Nachmittag eine Stadtrundfahrt Downtown und Uptown mit dem Doppeldeckerbus. Das geht mit dem Handy über den Paß schnell und problemlos, aber die Uhrzeit ist ein grober Anfängerfehler, wie sich später herausstellen wird. Dann trollen wir uns in unsere jeweiligen Zimmer.
Einschlafen können wir aber lange nicht, der Ausblick aus den Fenstern ist einfach zu fesselnd.