Der nächste Morgen ist schon unser letzter in Miami. Frühstück gibt’s im Bett mit Blick auf den Atlantik. Etwas Starbucks Frappé, bißchen Hummus auf Weißbrot, Zimtschnecken und Hawaiian Punch, und damit unsere Alabasterkörper auch ganz bestimmt nicht vergessen, daß sie in den USA sind, gibts zum Nachtisch ein kleines gelbes Marshmallow-Küken.
Wenn Lebensmittel Gesichter haben, vor allem, wenn sie niedlich sind, z.B. bei Marzipanfiguren oder Osterhasen, habe ich immer Probleme damit, ihnen den Kopf abzubeißen, völlig albern. Aber die Peeps haben genau die richtige Größe und Konsistenz, die kann man sich als Ganzes in die Futterluke schieben und dann warten bis der Marshmallow schmilzt. Die gelben haben einen leicht zitronigen Geschmack, sehr lecker. Egal, was manche Leute sagen, ich mag Peeps.
Nach dem Frühstück wird nicht weiter herumgetrödelt, wir haben heute noch viel vor. An jedem Finger gefühlt fünf Publixtüten mit Krempel laufen wir zigmal zwischen dem Zimmer und dem Auto hin und her und amüsieren uns dabei immer über die weibliche Schlafzimmerstimme, die im Fahrstuhl die Lobby ankündigt. Laaahbe spricht sie das aus, mit so einem hingetupften i am Ende. Es ist die gleiche Stimme wie schon vor vier Jahren, die Frau dazu stelle ich mir wie ein laszives Pinup vor.
Wir nehmen mit einer letzten Sitzung in der Dampferecke Abschied von dem Anblick, den der Ehemann die letzten drei Nächte in der tropischen Wärme sitzend genossen hat:
Es war ein schönes Wiedersehen mit Miami, aber jetzt geht es raus aus der Großstadt und hinein in die Pampa, dorthin, wo Florida am süßesten ist.
Sugarland, so nennen die Leute dort das Land um den Lake Okeechobee, Zuckerrohranbau weit und breit, sonst nur Kühe und Gras, langweilig soll es hier sein und öde. Wir haben uns vorgenommen, uns das Hinterland hier mal anzuschauen, anstatt direkt nach Orlando durchzufahren. Wir werden heute noch mehr Landstraßen zu sehen bekommen, als uns lieb ist, aber das wissen wir jetzt natürlich noch nicht.
Daß es hier langweilig sei, meinen aber wohl nur die Snowbirds und anderen Touristen. Die lokalen Rednecks sehen das anders. Wenn man die fragt, hat Tallahassee zwar ein paar schöne Canopy Roads, aber zwischen Stuart und dem Lake Okeechobee gibt es sogar einen Canopy
Highway, und zwar den most scenic von ganz Florida! Wenn man den unzähligen youtube-Videos glauben darf, haben sie recht.
Den DeLorme auf den Knien, damit wir die Abfahrt nicht verpassen, geht es auf den Turnpike. Das Verkehrsaufkommen ist gemäßigt, aber trotzdem, jetzt sind wir nicht mehr ein Kleinwagen unter vielen im Großstadtverkehr, jetzt sind wir ein silbernes Kügelchen zwischen wild gewordenen Rams. Es ist tatsächlich noch schlimmer als vor vier Jahren, die Höchstgeschwindigkeit wird von einigen um bestimmt mehr als 20 Meilen überschritten, wir sind wirklich verblüfft. Sheriffs sehen wir wenige und auch diesmal scheinen sie niemanden zu beeindrucken, da geht keiner vom Gas, alles egal. Irgendwie hat Florida hier einen europäischen Touch bekommen, vielleicht sogar noch einen Tick unentspannter, da auch die Lkw deutlich schneller fahren als erlaubt.
In Palm City fahren wir ab und dann nach links Richtung Lake Okeechobee. Hier zieht sich der Southwest Martin Highway aka The Martin Grade Scenic Highway schnurgerade durch das County bis zum See. Diese Ruhe, dieser Frieden nach dem Turnpike! Kaum ein anderes Auto ist hier unterwegs.
Ich bilde mir ein, ziemlich gründlich auswendig gelernt zu haben, ab wann es interessant zu werden beginnt, damit ich die Videokamera rechtzeitig in Position bringen kann. Irgendwann ab Allapattah Flats soll es losgehen, aber erstmal passiert gar nicht so viel. Rechts und links Weiden, Farmen, Pferde, Rinder, ab und zu ein paar Bäume, aber so richtig über die Straße krümmen wollen die sich noch nicht, es sind auch noch viel zu viele aufrecht wachsende Palmen und Palmetto-Lücken dazwischen.
Aber immerhin ist das ja hier ein Highway und keine Vorstadtstraße, und wie heißt es so schön: Alles kommt zu dem, der warten kann. Die Geduld zahlt sich aus. Nach und nach werden die Palmen weniger, es bildet sich eine dichte Allee aus Live Oaks, immer älter, immer knorriger, mit ausladenden Zweigen, die sich über der Straße zu verschränken scheinen. Irgendwann ist es so, wie man sich eine Canopy Road wünscht, ein dichter Tunnel, unglaublich schön.
Für die Anwohner hier, die ja vermutlich zumeist in der Landwirtschaft tätig sind und keine Zeit zu verschenken haben, muß es nervig sein, daß die Höchstgeschwindigkeit, wie meist auf irgendwelchen „scenic“ Straßen, heruntergeregelt ist, dazu die Touristen, die dann immer noch ein kleines bißchen langsamer fahren als erlaubt. Aber es ist wirklich zu schön, die Lichtverhältnisse jetzt am Vormittag sind nicht ideal, aber trotzdem, es hat etwas Märchenhaftes, da so in der Düsternis unter dem dichten Blätterdach voller Spanish Moss hindurch zu fahren.
Wir haben während der Fahrt nicht fotografiert, sondern nur gefilmt. Die Bilder, die wir Euch zeigen können, sind also Ausschnitte aus dem noch nicht fertig bearbeiteten Video.
Das Ende des Highways kündigt sich langsam an, durch lichter werdende Vegetation und die ersten Bahngleise der Frachtlinien von U.S. Sugar. Man hat Zeit, langsam aus den Träumereien in die Wirklichkeit zurückzukehren, bevor man abrupt an einer T-Kreuzung landet und sich entscheiden muß, ob man gen Süden nach Clewiston oder gen Norden nach Okeechobee fahren möchte.
Wenn es ums Möchten geht, wären wir gern nach Süden abgebogen und noch ein bißchen länger und tiefer ins Sugarland eingetaucht. Daß das zumindest auf dieser Reise nicht geklappt hat, liegt nicht an uns, sondern ist schlechtes Timing, und zwar nicht unseres!