Der nächste Tag ist dann auch schon unser letzter hier und bevor wir den Deckel auf das Kapitel Orlando machen, muß unbedingt nochmal der riesige Dollar Tree gleich um die Ecke unseres Motels und der nächste Walmart unsicher gemacht werden. Wir kaufen Off Deep Woods, Klappstühle, einen Cooler und auch gleich den Inhalt dazu, leckeres Kokoswasser, Grillsoßen und Beef Jerky, dazu Ziploc-Beutel für Eiswürfel, Servietten und Grillzubehör. Halt alles was man so braucht für die kommenden Ausflüge in die Wälder und zu den Quellen.
Praktischerweise liegt das Days Inn ja direkt neben der Auffahrt zum Turnpike, von da aus geht es auf die Interstate 75 und dann nur noch geradeaus. Je weiter wir nach Norden kommen, desto üppiger blühen lila Phlox und gelbe Astern am Straßenrand.
Take the back roads and a little extra time during a weekend outing just to gaze at the flowers.
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Die ersten Hinweisschilder auf ein Citrus Center erscheinen und wir strahlen um die Wette, als wir Windelgators sehen, wie wir die gemalten Babygators getauft haben, die in ihren Eierschalen-Windeln von den Plakaten lachen. Wir lieben diese süßen Figuren, sie dokumentieren den Übergang in das Florida, wie wir es am schönsten finden.
The real Florida, das beginnt für uns ab Ocala, dem Teil des Landes, der an Einsamkeit wahrscheinlich nur noch von den Wäldern des Panhandle übertroffen wird.
Eine Woche sind wir jetzt in Florida, auch wenn es uns nach den intensiven Eindrücken länger vorkommt. Und der weitaus längere Teil des Aufenthalts liegt noch vor uns.
Bei der letzten Reise hatte das Land eine monatelange Dürre hinter sich, die fast zeitgleich mit unserer Ankunft endete und in einen wochenlangen Dauerregen, begleitet von den Ausläufern zweier karibischer Hurricanes, überging und uns den Urlaub, den wir zum Teil in einem einsam gelegenen Camper am Ufer des Santa Fé River verbrachten, doch etwas beeinträchtigte. Dieses Jahr sind die Vorzeichen viel günstiger, nach einem verregneten Frühjahr, das für eine üppig sprießende Natur gesorgt hat, wird für die kommende Zeit nichts als Sonnenschein angekündigt. Nur unseren Camper im Wald, den kleinen Turtle Palace, den gibt es nicht mehr.
Gern hätten wir den Aufenthalt hier bei besserem Wetter wiederholt, aber Pam und Lance, die Betreiber der Lazy Turtle Lodge, auf deren Gelände der Camper stand, geben aus Altersgründen auf und verkaufen ihr wunderschönes Stelzen-Blockhaus am Fluß mit allem, was dazu gehört. Hätten wir die Mittel, wir würden das Grundstück sofort haben wollen, aber das ist weit jenseits unserer Möglichkeiten. Was die zukünftigen Eigentümer daraus machen werden und ob es weiterhin touristisch genutzt werden wird, konnte Pam mir natürlich auch nicht beantworten, so bleibt nur zu hoffen, daß wir irgendwann nochmal an diesen wunderbaren Ort zurückkehren können.
Wir fahren also noch weiter nach Norden, an den Ort, wo wir unser Basislager aufschlagen werden, so wie schon auf allen Reisen zuvor, passieren Don Garlits Dragstermuseum und die Paynes Prairie, in der das Wasser fast bis zum Straßenrand steht.
Die Namen der Orte rechts und links der Straße sind die Namen von Häuptlingen der Seminolen und der Creek, allen voran Chief Micanopy, der den Haß der gerade unabhängig gewordenen amerikanischen Regierung auf sich zog, weil er hunderte von den Plantagen im Norden entflohener Sklaven auf seinem Land in den verzweigten Sümpfen und Wäldern versteckte. Wenn man weiß, daß auch Al Bellotto, der Betreiber der Farm, die heute die Circle B Bar-Reserve ist, zur Hälfte Creek war, versteht man, wie er es geschafft hat, in den Sümpfen voller 4 Meter-Alligatoren über Jahrzehnte erfolgreich eine Rinderfarm zu betreiben.
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Osceola, McIntosh, Micanopy und Alligator, die Anführer der indigenen Bevölkerung im zweiten Seminolenkrieg, am Ende haben sie ihr Land doch verloren, auch wenn heute Counties und Städte nach ihnen benannt sind. Auch Chief Alligator wurde die Ehre zuteil, Namensgeber für eine Stadt zu werden. Bloß daß der Name auf siedlungswillige Weiße wohl wenig anziehend wirkte, so daß man dem Ort einen harmloseren gab: Lake City. Und genau da wollen wir hin.
Lake City bezeichnet sich selbst als „Gateway to Florida“, weil sich hier die I75 und die I10 kreuzen. Das macht die Stadt zum idealen Zwischenstop für alle Durchreisenden auf dem Weg zu Micky oder mit einer Truckladung voller Waren in den Süden, und die meisten widmen ihr darüber hinaus keine besondere Aufmerksamkeit. Für den Ehemann ist es nach vielen Jahren des Höhlen- und Quellentauchens hier im Norden die zweite Heimat, für mich inzwischen ein vertrauter Ort, der mir mit jedem Urlaub ein bißchen mehr ans Herz wächst.
Unsere Stamm-Absteige, die Econo-Lodge direkt an der Autobahnabfahrt, sieht unverändert aus. Zwei Autos parken ganz am Ende der Zimmerfluchten auf den letzten zwei Stellplätzen, ansonsten ist alles leer. Der Ehemann handelt für uns einen enormen Langzeit-Rabatt heraus und wir bekommen ein Zimmer im Erdgeschoß mit Blick auf den Pool. In manchen Jahren blieb der Pool bis zum Memorial Day geschlossen und wurde nur mir als Dauergast zuliebe auf Nachfrage etwas widerwillig geöffnet. Dieses Jahr ist das Tor bereits auf und es ist fast niemand hier außer uns. Ein Subway nur wenige Meter vor dem Motel, an der Rezeption complimentary coffee den ganzen Tag, ein ordentliches Zimmer mit zwei Kingsize Betten, Badewanne, Kühlschrank und Mikrowelle. Und on top ein Pool und eine Grillhütte, die wir, so wie es aussieht, fast jeden Tag ganz für uns allein haben werden. Luxus pur! Ich bin glücklich.
Die Stadt und Umgebung werden wir erst morgen erkunden, schauen, ob noch Schildkröten im Lake de Soto schwimmen und ob es im Blanche Hotel noch spukt.
Heute Abend reicht die Energie nur noch für den Walmart. Nachdem wir schon in Orlando kein Walmart Supercenter mehr gefunden haben, hatten wir auf Lake City gehofft, aber auch hier hat die Europäisierung stattgefunden. Kein Supercenter mehr, keine 24/7 Öffnungszeiten. Und keine Crablegs. Dafür werden hier kaum noch Masken getragen und es dauert nicht lange, bis wir uns der Bevölkerung diesbezüglich anpassen.
Da ich dem Ehemann zu seinem Geburstag ja keinen Gutschein für eine Dampflokfahrt um den Lake Okeechobee schenken konnte, gab es einen Gutschein für Snowcrabs, und der wird nun im Publix eingelöst; der Preis hat sich im Vergleich zu 2018 mehr als verdoppelt, aber Geschenk ist Geschenk.
Wir richten uns also häuslich ein, stellen die Klappstühle vor das Zimmer, ich beginne Buch zwei des Urlaubs und wieder werden Seagrams Breezer entkorkt. Der Ehemann ist auch glücklich, er ist wieder zuhause, pult Krabbenbeine aus und im Hintergrund läuft die neueste Staffel von Deadliest Catch. Besser geht's nicht.
Aber jetzt fliegen wir ja gleich für eine Woche nach New York und bevor es hier voraussichtlich Ende September weitergeht im Text kommt jetzt erstmal die Dame mit dem Eiskonfekt