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Als wir die Reise planten, war ja zu Beginn eigentlich ein längerer Aufenthalt auf den Bahamas und in Key West vorgesehen. So wie jedes Ding zwei Seiten hat, hat es auch dieses, denn daß die ursprünglichen Pläne ausfallen mußten, hat nun dafür gesorgt, daß wir relativ früh in Nordflorida sind, und das bedeutet: Eine Chance auf blühende fleischfressende Pflanzen.
Der Ehemann, der von meinen botanischen Exkursionen nicht immer begeistert war, hat mittlerweile auch Gefallen daran gefunden und fordert mich vor einer Reise inzwischen schon auf, wieder eine ungewöhnliche Pflanze auszusuchen, die wir finden müssen. Und wer sich schon gefragt haben sollte, wann nach The Grove und den vielen Gators denn nun endlich mal der Goethe aus dem Reiseberichtstitel seinen Auftritt haben würde: Das ist jetzt. Denn um zu finden, was wir suchen, müssen wir in den Goethe State Forest.
Der Goethe, um den es hier geht, ist aber nicht unser deutscher Dichter, sondern ein floridianischer Großgrundbesitzer, der in den 90er Jahren das riesige zusammenhängende Waldgebiet an den Staat Florida verkaufte, der es sofort unter Schutz stellte. Der Goethe State Forest ist vor allem für den Goethe Giant bekannt, eine um die 900 Jahre alte Zypresse, aber der steht in einem anderen Teil des riesigen Waldes, und wir lassen ihn ebenso links liegen wie die den Devil’s Den, den wir aufgrund seiner angeblich durch die Pandemie begründeten massiven Preissteigerungen (die ich persönlich für reinen Nepp halte) bis aufs weitere zu boykottieren gedenken, und die Cedar Lakes Woods and Gardens in Williston, die erst vor kurzem überhaupt für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurden und eigentlich ganz ansprechend ausahen. Aber wir wir haben noch einen weiten Weg.
Die Pflanzenpopulation, die wir suchen, ist relativ klein und überdies die einzige dieser Art in ganz Zentralflorida, aber angeblich soll der Rundweg um den See, in dessen Ufernähe die Pflanzen wachsen, gut beschildert sein. Wir kalkulieren dennoch einige Zeit zum Suchen ein und fahren zügig hinein in die Williston Highlands.
Den Namen verdient die Gegend durchaus, das Land ist hügelig und die Straße hebt und senkt sich. In der Nähe von Williston sind die teilweise sehr kostspielig aussehenden Häuser noch zahlreich, dann wird die Besiedelung immer spärlicher. Der Boden ist sandig, hier wachsen nur noch kleine Phlox, oder vielleicht ist es auch eine andere lila Blume, das kann man im Vorbeifahren nicht so genau erkennen. Je näher wir dem Goethe State Forest kommen, desto mehr Reitbetriebe sieht man entlang der Straße, im Wald gibt es ein gut ausgebautes Reitwegenetz, mit dem wir bald Bekanntschaft machen werden.
Die ganze Gegend wirkt auf mich unglaublich vertraut, weil dies Zusammenspiel aus den an blühende Heide erinnernden lila Blumen, dem Sandboden und den Kiefernwäldern so stark an den niedersächsischen Heidelandschaften ähnelt.
Diese Illusion zerstört der Ehemann durch ein wahres Feuerwerk an Bärenkalauern. Als wir an einem Hinweisschild auf einen stattfindenden Garage Sale vorbeikommen, meint er, da gäbe es sowieso nur Bärenfelle, sobald wir ein Schild mit einer Geschwindigkeitsbeschränkung passieren, mutmaßt er, dies sei zum Schutz vor die Straße kreuzenden Bären. Als dann tatsächlich die ersten Bären-Hinweisschilder auftauchen, zweifelt er endgültig an, daß wir den Goethe State Forest lebend verlassen werden. Besser hätten wir nie Backcountry geguckt. Ich kenne das mit den Bärenwitzen schon von der letzten Tour nach Appalachicola und gebe zu Bedenken, daß sein unpassendes Schuhwerk ein viel größeres Risiko darstellt als alle Bären Floridas.
Mitten im Goethe State Forest liegt der Buck Island Pond, und hier, in dem sumpfigen Grund in Ufernähe wachsen die Schlauchpflanzen. Als wir auf den Parkplatz fahren, ist außer uns nur ein einziges Auto hier, an einem Picknicktisch sitzt eine ältere Dame und scheint zu malen.
Der Weg ist relativ einfach, und die Stelle, an der die Schlauchpflanzen stehen, soll über einen Boardwalk, der vom Hauptweg ab in den Sumpf führt, gut erkennbar sein. Trotzdem nehmen wir uns aus dem Zettelkasten an der Infotafel einen Plan und marschieren los.
Der Weg ist trocken und führt über den mit Kiefernnadeln bedeckten Boden zwischen Palmettos und Beerensträuchern. Es scheint hier in der Vergangenheit einmal gebrannt zu haben, die Kiefern haben im oberen Bereich der Stämme schwarz verkohlte Rinde. Interessant ist, daß auf dem Untergrund schwarze Eidechsen sitzen. Sie sind auffallend gut getarnt und wunderhübsch mit ihren Goldsprenkeln. Ob das eine natürliche Färbung der Art ist oder ob die Tiere im Laufe der Zeit zur Tarnung einen Melanismus entwickelt haben, wissen wir nicht.
Als wir an die Stelle kommen, an der sich Wanderer und Reiter für ein kurzes Stück den Trail teilen müssen, wird es kurzzeitig ein bißchen haarig. Ich habe relativ feste Schuhe an, der Ehemann nur Flipflops, und damit kommt er in dem tiefen Untergrund nicht mehr weit. Man sinkt in den von den Hufen aufgewühlten Boden so tief ein, daß es einem die Schuhe förmlich von den Füßen zieht, und so entschließt er sich, umzukehren. Ich gehe allein weiter und nehme dabei den Matsch auf dem Trail in Kauf, da ich Bedenken habe, am Rand des Weges durchs Unterholz zu stiefeln. Das sumpfige Land nahe des Sees wäre nämlich genau der richtige Lebensraum für die Cottonmouth. Es sind aber tatsächlich nur noch wenige Meter, bis der Boardwalk vom Weg ab ins Gebüsch führt.
Ich bin ein bißchen aufgeregt, ob sich die ganze Fahrt wohl gelohnt hat. Aber er hat! Trotzdem es schon wieder Ende April ist, finde ich noch zwei blühende Exemplare. Anders als die Sarracenia flava, die wir vor vier Jahren auf dem Wright Loop Trail im Panhandle gesehen haben, haben diese hier keinen Deckel über ihrem schlauchförmigen Körper, sondern sind in sich gekrümmt wie Schneckenhäuser.
Wie der Name, Sarracenia minor, schon sagt, sind sie auch viel kleiner:
Meine zweite Schlauchpflanzenart, die ich in freier Wildbahn gesehen habe, ich freue mich sehr und mache ein paar Fotos, dann gehe ich zum See zurück, wo der Ehemann auf mich wartet.
Als ich dort ankomme, hat er es sich auf der Aussichtsplattform über dem Buck Island Trail gemütlich gemacht und unterhält sich mit der älteren Dame, die wir vorhin schon auf dem Parkplatz gesehen haben. Sie kommt aus Virginia und verbringt die Sommer in einem Haus in der Nähe, ganz allein. Sie malt und genießt die Natur und es stört sie sehr, wenn der weit entfernt wohnende Nachbar ein Holzfeuer anzündet und sie durch den Rauchgeruch an seine Anwesenheit erinnert wird.
Heute ist sie aber gesellig unterwegs, hier zwei Deutsche mitten im Wald, das findet sie ja sehr spannend. Sie war Counselor an einer Highschool und hatte im Laufe der Jahre auch deutsche Schülerinnen, die sie beim Einleben in den USA betreut hat. Da sie sich uns nicht mit Namen vorstellt, taufe ich sie, so aus Star Trek-Gewohnheit, im Geiste Counselor Troi.
Counselor Troi war sich der Existenz von Schlauchpflanzen am Buck Island Pond nicht bewußt und will sie sich unbedingt anschauen gehen und wir geben ihre eine Wegbeschreibung, bevor wir uns verabschieden. Ich bewundere die Frau ein bißchen, mit weit über 80 allein mit dem Auto aus Virginia angereist und monatelang allein in einer Cabin im Wald von Nordflorida. Mir wäre das definitiv zu unheimlich. Im Nachhinein ärgere ich mich, daß ich sie nicht gefragt habe, ob ich mir ihre Bilder mal anschauen darf.
Es ist inzwischen früher Nachmittag, der Tag ist sehr heiß und schwül, vor allem hier im Wald. Das Picknick am Parkplatz wird zum ersten Mal auf dieser Reise massiv durch Insekten gestört, so schlimm hatten wir das diesmal noch nicht. Wir brechen früh auf und fahren gemütlich nach Lake City zurück, der Pool ruft.
Letzter Blick über den Buck Island Pond:
Als wir auf dem Rückweg wieder durch Williston kommen, überlegen wir kurz, ob wir uns den Ortskern noch ein bißchen anschauen. Es wirkt alles sehr ordentlich-sauber, wie frisch aufpoliert, dabei aber ein bißchen tot. Die Atmosphäre erinnert uns beide ein seltsam an die Kleinstadt aus „Pleasantville“. Einzig die lebensgroße Statue von Foolish Pleasure direkt neben der Hauptstraße, die wir auf dem Hinweg im Vorbeifahren schon gesehen haben, verleiht dem Ort etwas Lebendiges, auch wenn um die Parkbänke in der Grünanlage darum niemand sitzt.
Levy County, in dem Williston liegt, ist Pferdeland. Es ist vielleicht nicht ganz so offensichtlich wie in Marion, wo die Reitsportzentren sich aneinanderreihen. Die Gestüte hier sind nicht so zahlreich und liegen versteckter, sind aber nicht weniger erfolgreich. Es ist kein Pferdeland in dem Sinne wie Lakeland, wo Pferde aus nostalgischen Gründen noch zum Farmleben gehören, oder in den Highlands, wo es Freizeitvergnügen ist. Hier werden Vollblüter gezüchtet.
Bis Mitte des 20. Jahrhunderts gab es nur wenige Menschen, die daran glaubten, daß das Quellwasser und der mineralhaltige Karstboden Floridas gute Rennpferde hervorbringen könnte. Anders als Kentucky selbst, als amerikanisches Zentrum des Galopprennsports, oder der Ost- und Westküste mit ihrem Geldadel, wo sich der Rennsport kontinuierlich entwickeln konnte, war der Galopprennsport in Florida nicht wirklich etabliert. Weder war die Bevölkerung besonders pferdesportbegeistert, noch konnten die Trainer besondere Siege vorweisen. Man hielt das Land für eigentlich nicht geeignet für die Zucht von Hochleistungspferden.
Der Erfolg kam mit einem Schlag und mit einem einzigen Pferd: Needles.
1953 auf einem kleinen Gestüt in Ocala geboren, hatte er einen schweren Start ins Leben. Schon sein Name, Needles, zeugt von dem schrägen Humor seiner Besitzer, denn der erinnerte an die vielen Injektionsnadeln, die seine Züchterin, eine gelernte Krankenschwester, in das gerade geborene Fohlen hineinpieken mußte, um ihn von einer Lungenentzündung zu kurieren, die er beinahe nicht überlebt hätte.
Auch als erwachsenes Pferd hielt Needles die Menschen gern in Atem. Sein legendärer Laufstil machte ihn über die Landesgrenzen hinaus berühmt. Needles gehörte zu jenen „come from behind“-Pferden, die erst kurz vor der Zielgerade aufwachen und dann einen fulminanten Endspurt hinlegen. Der Loser mit dem schweren Start ins Leben, der wie Phönix aus Asche aufsteigt und es den Hochglanzvollblütern aus Kentucky zeigt, es entspricht vermutlich der amerikanischen vom-Tellerwäscher-zum-Millionär-Mentalität, daß Pferde wie Needles lange über ihre aktive Rennkarriere und manchmal sogar weit über ihre Lebenszeit hinaus eine ungeheure Fangemeinde haben.
Anfangs als nicht gerade gelungenes floridianisches Zuchtexperiment belacht, ging er 1956 nach diversen Siegen in großen Rennen schon als Favorit ins Kentucky Derby, machte hier wie gewohnt bis zur letzten Kurve vor dem Zieleinlauf in 20 Längen Abstand zum letzten Pferd den Eindruck, den Konkurrenten eigentlich nicht gewachsen zu sein, um auf der Zielgeraden mühelos an allen vorbeizufliegen.
Danach war in Zentralflorida nichts mehr wie es war. Man sagt, daß Needles Sieg im Kentucky Derby 1956 zu den größten Landverkäufen in der Geschichte des Landes geführt habe. Die Gestüte schossen in Marion und den angrenzenden Counties wie Pilze aus dem Boden. Heute trägt Ocala den Beinamen „Horse Capital of the World“ und Florida hat insgesamt sechs Kentucky Derby Gewinner hervorgebracht. Und einer davon, der Gewinner von 1975, wurde hier in Williston geboren und in der besagten Skulptur verewigt: Foolish Pleasure.
Wer irgendwann mal durch Williston kommt und neugierig ist, welche Geschichte sich hinter dem glänzenden Pferd aus Kunststoff am Straßenrand verbirgt, sollte sich den Film „Ruffian“ anschauen, in dem Foolish Pleasure eine Hauptrolle hat, wenn auch eine traurige. Für empfindsame Gemüter sei gesagt, es ist ein schöner Film, der aber eine wahre Geschichte erzählt, die kein Happy End hat.
Der Ehemann, der von meinen botanischen Exkursionen nicht immer begeistert war, hat mittlerweile auch Gefallen daran gefunden und fordert mich vor einer Reise inzwischen schon auf, wieder eine ungewöhnliche Pflanze auszusuchen, die wir finden müssen. Und wer sich schon gefragt haben sollte, wann nach The Grove und den vielen Gators denn nun endlich mal der Goethe aus dem Reiseberichtstitel seinen Auftritt haben würde: Das ist jetzt. Denn um zu finden, was wir suchen, müssen wir in den Goethe State Forest.
Der Goethe, um den es hier geht, ist aber nicht unser deutscher Dichter, sondern ein floridianischer Großgrundbesitzer, der in den 90er Jahren das riesige zusammenhängende Waldgebiet an den Staat Florida verkaufte, der es sofort unter Schutz stellte. Der Goethe State Forest ist vor allem für den Goethe Giant bekannt, eine um die 900 Jahre alte Zypresse, aber der steht in einem anderen Teil des riesigen Waldes, und wir lassen ihn ebenso links liegen wie die den Devil’s Den, den wir aufgrund seiner angeblich durch die Pandemie begründeten massiven Preissteigerungen (die ich persönlich für reinen Nepp halte) bis aufs weitere zu boykottieren gedenken, und die Cedar Lakes Woods and Gardens in Williston, die erst vor kurzem überhaupt für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurden und eigentlich ganz ansprechend ausahen. Aber wir wir haben noch einen weiten Weg.
Die Pflanzenpopulation, die wir suchen, ist relativ klein und überdies die einzige dieser Art in ganz Zentralflorida, aber angeblich soll der Rundweg um den See, in dessen Ufernähe die Pflanzen wachsen, gut beschildert sein. Wir kalkulieren dennoch einige Zeit zum Suchen ein und fahren zügig hinein in die Williston Highlands.
Den Namen verdient die Gegend durchaus, das Land ist hügelig und die Straße hebt und senkt sich. In der Nähe von Williston sind die teilweise sehr kostspielig aussehenden Häuser noch zahlreich, dann wird die Besiedelung immer spärlicher. Der Boden ist sandig, hier wachsen nur noch kleine Phlox, oder vielleicht ist es auch eine andere lila Blume, das kann man im Vorbeifahren nicht so genau erkennen. Je näher wir dem Goethe State Forest kommen, desto mehr Reitbetriebe sieht man entlang der Straße, im Wald gibt es ein gut ausgebautes Reitwegenetz, mit dem wir bald Bekanntschaft machen werden.
Die ganze Gegend wirkt auf mich unglaublich vertraut, weil dies Zusammenspiel aus den an blühende Heide erinnernden lila Blumen, dem Sandboden und den Kiefernwäldern so stark an den niedersächsischen Heidelandschaften ähnelt.
Diese Illusion zerstört der Ehemann durch ein wahres Feuerwerk an Bärenkalauern. Als wir an einem Hinweisschild auf einen stattfindenden Garage Sale vorbeikommen, meint er, da gäbe es sowieso nur Bärenfelle, sobald wir ein Schild mit einer Geschwindigkeitsbeschränkung passieren, mutmaßt er, dies sei zum Schutz vor die Straße kreuzenden Bären. Als dann tatsächlich die ersten Bären-Hinweisschilder auftauchen, zweifelt er endgültig an, daß wir den Goethe State Forest lebend verlassen werden. Besser hätten wir nie Backcountry geguckt. Ich kenne das mit den Bärenwitzen schon von der letzten Tour nach Appalachicola und gebe zu Bedenken, daß sein unpassendes Schuhwerk ein viel größeres Risiko darstellt als alle Bären Floridas.
Mitten im Goethe State Forest liegt der Buck Island Pond, und hier, in dem sumpfigen Grund in Ufernähe wachsen die Schlauchpflanzen. Als wir auf den Parkplatz fahren, ist außer uns nur ein einziges Auto hier, an einem Picknicktisch sitzt eine ältere Dame und scheint zu malen.
Der Weg ist relativ einfach, und die Stelle, an der die Schlauchpflanzen stehen, soll über einen Boardwalk, der vom Hauptweg ab in den Sumpf führt, gut erkennbar sein. Trotzdem nehmen wir uns aus dem Zettelkasten an der Infotafel einen Plan und marschieren los.
Der Weg ist trocken und führt über den mit Kiefernnadeln bedeckten Boden zwischen Palmettos und Beerensträuchern. Es scheint hier in der Vergangenheit einmal gebrannt zu haben, die Kiefern haben im oberen Bereich der Stämme schwarz verkohlte Rinde. Interessant ist, daß auf dem Untergrund schwarze Eidechsen sitzen. Sie sind auffallend gut getarnt und wunderhübsch mit ihren Goldsprenkeln. Ob das eine natürliche Färbung der Art ist oder ob die Tiere im Laufe der Zeit zur Tarnung einen Melanismus entwickelt haben, wissen wir nicht.
Als wir an die Stelle kommen, an der sich Wanderer und Reiter für ein kurzes Stück den Trail teilen müssen, wird es kurzzeitig ein bißchen haarig. Ich habe relativ feste Schuhe an, der Ehemann nur Flipflops, und damit kommt er in dem tiefen Untergrund nicht mehr weit. Man sinkt in den von den Hufen aufgewühlten Boden so tief ein, daß es einem die Schuhe förmlich von den Füßen zieht, und so entschließt er sich, umzukehren. Ich gehe allein weiter und nehme dabei den Matsch auf dem Trail in Kauf, da ich Bedenken habe, am Rand des Weges durchs Unterholz zu stiefeln. Das sumpfige Land nahe des Sees wäre nämlich genau der richtige Lebensraum für die Cottonmouth. Es sind aber tatsächlich nur noch wenige Meter, bis der Boardwalk vom Weg ab ins Gebüsch führt.
Ich bin ein bißchen aufgeregt, ob sich die ganze Fahrt wohl gelohnt hat. Aber er hat! Trotzdem es schon wieder Ende April ist, finde ich noch zwei blühende Exemplare. Anders als die Sarracenia flava, die wir vor vier Jahren auf dem Wright Loop Trail im Panhandle gesehen haben, haben diese hier keinen Deckel über ihrem schlauchförmigen Körper, sondern sind in sich gekrümmt wie Schneckenhäuser.
Wie der Name, Sarracenia minor, schon sagt, sind sie auch viel kleiner:
Meine zweite Schlauchpflanzenart, die ich in freier Wildbahn gesehen habe, ich freue mich sehr und mache ein paar Fotos, dann gehe ich zum See zurück, wo der Ehemann auf mich wartet.
Als ich dort ankomme, hat er es sich auf der Aussichtsplattform über dem Buck Island Trail gemütlich gemacht und unterhält sich mit der älteren Dame, die wir vorhin schon auf dem Parkplatz gesehen haben. Sie kommt aus Virginia und verbringt die Sommer in einem Haus in der Nähe, ganz allein. Sie malt und genießt die Natur und es stört sie sehr, wenn der weit entfernt wohnende Nachbar ein Holzfeuer anzündet und sie durch den Rauchgeruch an seine Anwesenheit erinnert wird.
Heute ist sie aber gesellig unterwegs, hier zwei Deutsche mitten im Wald, das findet sie ja sehr spannend. Sie war Counselor an einer Highschool und hatte im Laufe der Jahre auch deutsche Schülerinnen, die sie beim Einleben in den USA betreut hat. Da sie sich uns nicht mit Namen vorstellt, taufe ich sie, so aus Star Trek-Gewohnheit, im Geiste Counselor Troi.
Counselor Troi war sich der Existenz von Schlauchpflanzen am Buck Island Pond nicht bewußt und will sie sich unbedingt anschauen gehen und wir geben ihre eine Wegbeschreibung, bevor wir uns verabschieden. Ich bewundere die Frau ein bißchen, mit weit über 80 allein mit dem Auto aus Virginia angereist und monatelang allein in einer Cabin im Wald von Nordflorida. Mir wäre das definitiv zu unheimlich. Im Nachhinein ärgere ich mich, daß ich sie nicht gefragt habe, ob ich mir ihre Bilder mal anschauen darf.
Es ist inzwischen früher Nachmittag, der Tag ist sehr heiß und schwül, vor allem hier im Wald. Das Picknick am Parkplatz wird zum ersten Mal auf dieser Reise massiv durch Insekten gestört, so schlimm hatten wir das diesmal noch nicht. Wir brechen früh auf und fahren gemütlich nach Lake City zurück, der Pool ruft.
Letzter Blick über den Buck Island Pond:
Als wir auf dem Rückweg wieder durch Williston kommen, überlegen wir kurz, ob wir uns den Ortskern noch ein bißchen anschauen. Es wirkt alles sehr ordentlich-sauber, wie frisch aufpoliert, dabei aber ein bißchen tot. Die Atmosphäre erinnert uns beide ein seltsam an die Kleinstadt aus „Pleasantville“. Einzig die lebensgroße Statue von Foolish Pleasure direkt neben der Hauptstraße, die wir auf dem Hinweg im Vorbeifahren schon gesehen haben, verleiht dem Ort etwas Lebendiges, auch wenn um die Parkbänke in der Grünanlage darum niemand sitzt.
Levy County, in dem Williston liegt, ist Pferdeland. Es ist vielleicht nicht ganz so offensichtlich wie in Marion, wo die Reitsportzentren sich aneinanderreihen. Die Gestüte hier sind nicht so zahlreich und liegen versteckter, sind aber nicht weniger erfolgreich. Es ist kein Pferdeland in dem Sinne wie Lakeland, wo Pferde aus nostalgischen Gründen noch zum Farmleben gehören, oder in den Highlands, wo es Freizeitvergnügen ist. Hier werden Vollblüter gezüchtet.
Bis Mitte des 20. Jahrhunderts gab es nur wenige Menschen, die daran glaubten, daß das Quellwasser und der mineralhaltige Karstboden Floridas gute Rennpferde hervorbringen könnte. Anders als Kentucky selbst, als amerikanisches Zentrum des Galopprennsports, oder der Ost- und Westküste mit ihrem Geldadel, wo sich der Rennsport kontinuierlich entwickeln konnte, war der Galopprennsport in Florida nicht wirklich etabliert. Weder war die Bevölkerung besonders pferdesportbegeistert, noch konnten die Trainer besondere Siege vorweisen. Man hielt das Land für eigentlich nicht geeignet für die Zucht von Hochleistungspferden.
Der Erfolg kam mit einem Schlag und mit einem einzigen Pferd: Needles.
1953 auf einem kleinen Gestüt in Ocala geboren, hatte er einen schweren Start ins Leben. Schon sein Name, Needles, zeugt von dem schrägen Humor seiner Besitzer, denn der erinnerte an die vielen Injektionsnadeln, die seine Züchterin, eine gelernte Krankenschwester, in das gerade geborene Fohlen hineinpieken mußte, um ihn von einer Lungenentzündung zu kurieren, die er beinahe nicht überlebt hätte.
Auch als erwachsenes Pferd hielt Needles die Menschen gern in Atem. Sein legendärer Laufstil machte ihn über die Landesgrenzen hinaus berühmt. Needles gehörte zu jenen „come from behind“-Pferden, die erst kurz vor der Zielgerade aufwachen und dann einen fulminanten Endspurt hinlegen. Der Loser mit dem schweren Start ins Leben, der wie Phönix aus Asche aufsteigt und es den Hochglanzvollblütern aus Kentucky zeigt, es entspricht vermutlich der amerikanischen vom-Tellerwäscher-zum-Millionär-Mentalität, daß Pferde wie Needles lange über ihre aktive Rennkarriere und manchmal sogar weit über ihre Lebenszeit hinaus eine ungeheure Fangemeinde haben.
Anfangs als nicht gerade gelungenes floridianisches Zuchtexperiment belacht, ging er 1956 nach diversen Siegen in großen Rennen schon als Favorit ins Kentucky Derby, machte hier wie gewohnt bis zur letzten Kurve vor dem Zieleinlauf in 20 Längen Abstand zum letzten Pferd den Eindruck, den Konkurrenten eigentlich nicht gewachsen zu sein, um auf der Zielgeraden mühelos an allen vorbeizufliegen.
Danach war in Zentralflorida nichts mehr wie es war. Man sagt, daß Needles Sieg im Kentucky Derby 1956 zu den größten Landverkäufen in der Geschichte des Landes geführt habe. Die Gestüte schossen in Marion und den angrenzenden Counties wie Pilze aus dem Boden. Heute trägt Ocala den Beinamen „Horse Capital of the World“ und Florida hat insgesamt sechs Kentucky Derby Gewinner hervorgebracht. Und einer davon, der Gewinner von 1975, wurde hier in Williston geboren und in der besagten Skulptur verewigt: Foolish Pleasure.
Wer irgendwann mal durch Williston kommt und neugierig ist, welche Geschichte sich hinter dem glänzenden Pferd aus Kunststoff am Straßenrand verbirgt, sollte sich den Film „Ruffian“ anschauen, in dem Foolish Pleasure eine Hauptrolle hat, wenn auch eine traurige. Für empfindsame Gemüter sei gesagt, es ist ein schöner Film, der aber eine wahre Geschichte erzählt, die kein Happy End hat.